ROM GEGEN REICH

 

 

Inhalt

Die Lage
Das Frührot des jungen Reiches
Die Fesseln des Geistes
Der Kampf gegen Deutschland
Der Staat in der Verteidigung
Der Sieg der katholischen Aktion über die deutsche Gleichgültigkeit

 

KURT EGGERS
ROM GEGEN REICH
EIN KAPITEL DEUTSCHER GESCHICHTE UM BISMARCK
NORDLAND VERLAG – BERLIN – 1935

Die Lage

Das Schiff der Kirche tanzt auf den Wellen, und der Sturm peitscht in die morschen Segel. Es knackt und knistert im Gebälk, und das altersschwache Schiff hat mehr als ein Leck. Noch versucht man, hier und dort ein Leck zu stopfen, und dem Anschein nach gelingt es. Aber für wie lange? Für geruhsame Zeiten hätte wohl das Schiff noch halten können, aber dem Sturm der neuen Zeit ist es nicht mehr gewachsen. Dem Kapitän und den Offizieren mag es schwer werden, das Ende ihres Schiffes kommen zu sehen, und wir haben ein lächelndes Verständnis dafür, daß sie ihren Seelenverkäufer gern und nachdrücklichst als seetüchtig ausgeben.

Wir wollen heute gar nicht von der Lage in Deutschland reden. Die Erinnerung an die kirchenpolitischen Kämpfe ist noch zu gut, als daß sie aufgefrischt zu werden brauchte. Schwerste Auseinandersetzungen haben auch im evangelischen Lager gezeigt, daß die Kirche als geistiges Reservat im und, wenn es darauf ankommt, auch gegen den Staat unbedingt bestehen bleiben will. Vom geistigen zum politischen Kampf ist nur ein kleiner Schritt. Auch hier dürften sich Einzelheiten erübrigen.

Alle Macht, alle Bundesgenossen bietet die geistige Macht auf, die wir mit Kirche – es kommt jetzt nicht auf das einzelne Bekenntnis an – bezeichnen, um aus dem Tageskampf einen Kampf der Ideen zu konstruieren. Schon machen sich die Stimmen der bösen Geister jenseits der Grenze bemerkbar, jener Geister, die beim Erwachen des deutschen Geistes schleunigst Reißaus nahmen, und sprechen von Bundesgenossenschaft.

Man versucht, das gutgläubige Kirchenvolk unter der Vorgabe, es ginge um den lieben Gott persönlich, in den Kampf zu führen. Und so manches Schaf der frommen Herde erhebt ein klägliches Blöken, weil dieser und jener Leithammel einen Schreckruf ausstieß.

Der Kampf um die deutsche Seele wird mit aller Entschiedenheit geführt werden müssen. Es geht darum, die deutschen Menschen aus dem Zwiespalt von Blut und artfremder Lehre herauszuführen. Es geht darum, gerade auf dem seelischen Gebiet die Konfliktstoffe, die das Blut und die Seele ungezählter Tausender Deutscher gekostet haben, zu beseitigen.

Nicht mit Gewalt! Denn die Kirchen haben aus dem Märtyrertum zu allen Zeiten nur Kapital geschlagen.

Sondern durch Erkenntnis! Durch das klare Sehen und Erforschen geschichtlicher Zusammenhänge, durch das Aufzeigen geheimer Querverbindungen, die bewußt Keile ins Volk treiben wollen.

In Zeiten, in denen Leben und Ehre eines Volkes auf dem Spiele stehen, können irgendwelche Rücksichten nicht mehr genommen werden. Wo Freiheit und Ehre zum Handeln treiben, darf die Wahrheit nicht verschwiegen werden.

Die verräterischen Umtriebe gewisser Zentrumskreise in Deutschland sind bekannt. Nur zu wenig bekannt sind die Tatsachen, die den Verlust deutschen Gebietes im Osten und Westen zur Folge hatten! Zu wenig bekannt sind die Schliche jenes Erzberger, den das Volk richtete.

Viele Hintergründe separatistischer Umtriebe warten noch der Erforschung.

In Oesterreich sind christliche Kliquen am Werke, die deutsche Freiheit zu binden und zu erschlagen. Besinnung und Sammlung freiheitsliebender und nationalbewußter Kreise auf der einen Seite, Verdichtung der Hetze, Verneblung der geistigen Fronten, Diffamierung und Verleumdung alles Artbewußten auf der andern Seite.

Es geht nicht mehr um den Kampf des Geistes, denn der Geist hat schon gesiegt über die Dunkelmänner. Es geht vielmehr ausschließlich um die Macht. Dort, wo die Dunkelmänner nicht ungestört herrschen und drahtziehen können, schreien sie von Unterdrückung der Freiheit. Und dort wo sie an der Macht sind und die Freiheit unterdrücken, sprechen sie salbungsvoll von Befriedung im Namen Gottes!

Uns ruft der Geist Deutschlands, daß wir hervortreten müssen, um zu zeugen für die Wahrheit der Nation. Wir haben das Erbe Walthers von der Vogelweide, das Vermächtnis Huttens zu verwalten, wir haben in ihrem Geiste weiter vorzustoßen für die Freiheit des Volkes.

Wir wollen nicht mehr, daß ein Deutscher Gewissensqualen leidet, ob er der Stimme seines Blutes oder den Befehlen irgendwelcher Priester, die einem asiatischen Gotte dienen, gehorchen soll.

Die große deutsche Einheit wollen wir, die wahre Gemeinschaft allen deutschen Wollens, Fühlens und Denkens.

Die Fronten der Kirche und des Christentums sind erschüttert, zusammengeschossen und geschmolzen im Erleben des Krieges.

Christen haben gegen „Christen“ die Waffen geführt. Christen haben „Heiden“ geholt, um Christen zu töten.

Die christliche Weltgeschichte verlor in den Trichtern vor Verdun, im Schlamm Flanderns, in den Steppen Rußlands ihren Sinn.

Der christlichen Ernüchterung folgte das völkische Erwachen. Fragt die Sturmsoldaten, ob sie mit einer christlichen Vorstellung in das Grauen der Materialschlacht gingen. Fragt sie, wenn ihr den Mut habt, den immer wieder sich Opfernden vom Kreuze zu sprechen!

Geht zu den jungen und alten Arbeitern, deren Sehnsucht lauter und stärker ist als das Pulsen und Hämmern der Motoren und fragt sie, ob sie den süßen Trost des jenseits haben wollten!

Geht zu den jungen deutschen Menschen, deren Sehnsucht nach Volk und Weite, nach Kampf und Heldentum wach und mahnend ist und fragt sie, ob sie um des Himmels willen auf den Kampf des Diesseits verzichten wollten!

Die Stimme des Blutes hat aufgeschrien unter der tausendjährigen Vergewaltigung alles Deutschen, die betrieben wurde von Beauftragten einer fremden Macht, die da vorgab, ihr Reich sei nicht von dieser Welt, die aber doch die Dinge dieser Welt, ja gerade die primitivsten, so sehr ernst nimmt, daß kein Konkordat entsteht, das nicht auch die Frage von Geld und Besitz in sehr weltlichem Sinne behandelt. Auf dem Scheiterhaufen hat man zwar deutsche Menschen zum Schweigen bringen können, nicht aber ihre Seelen. Stärker als der fanatische Haß der Schwachen gegen das Starke, stärker als das Geifern moralstrotzender Dekadenz ist der gesunde Sinn des Volkes geblieben, der dem Wüten der Jenseitiged‚ in vornehmer Verachtung nur den Rücken zuwandte, leider auch zuweilen dann, wenn ein Fausthieb besser am Platze gewesen wäre.

Das deutsche Herz, das unverzagt das Grauen schwarzer Barbarei überwand, ist den Dunkelmännern verhaßt. Deutschland hat von jeher gewagt, dem Kreuz der Demütigung das Sonnenzeichen des Sieges entgegenzustellen, und darum begann ein planmäßiger Vernichtungskampf der vom Kreuz Besessenen gegen die Starken und Lebensgläubigen des Nordens.Darum wollte man Deutschland nie ein Reich werden lassen. Darum höhnte man, Deutschland würde sich unter kluger Führung Roms stets selber zerfleischen!

Das vorliegende Buch über den Kulturkampf, den der Vorkämpfer für ein starkes, großes, kriegerisches Deutschland, Bismarck, zu bestehen hatte, soll zeigen, wie Rom und auch gewisse Kreise eines „evangelischen Zentrums“ Fäden spannen, um die junge Nation zu fesseln und zu unterwerfen, bevor sie noch recht zur Freiheit erwachte.

Vielleicht auch trägt das Buch dazu bei, die Behauptung gewisser interessierter, Kreise, Bismarck sei ein christlicher Staatsmann gewesen, Lügen zu strafen.

Und dann möge aus der Vergangenheit für die Gegenwart und für die Zukunft gelernt werden!

Das Frührot des jungen Reiches

Die beiden Gegenspieler Deutschlands und des nichtkatholischen Nordens, Rom und Frankreich, mußten erleben, daß der Freiheitswille Deutschlands, verkörpert von dem unverbildeten und kriegerischen Preußen, stärker war als das fein ausgeklügelte, christliche System der Zersetzung und des Unterminierens.

Deutschland hatte sich immer erlaubt, gegen den Stachel zu löcken, seine Geschichte ist das Auf und Ab von Kampf und Sieg, von Müdewerden und Nachgiebigkeit und neuem Erwachen. Wie raffiniert auch immer die „Befriedungsmethoden“ Roms waren, irgendein Deutscher stand auf und riß den römischen Eindringlingen die Maske christlicher Demut herunter. Je nachdem der Eindruck dieser Enthüllung war, antwortete Rom mit einem Bannstrahl, schichtete es einen Scheiterhaufen, flehte es zu Gott, er möge dem frechen Sünder gnädig verzeihen oder sah es den Irrtum ein und ging in Zukunft vorsichtiger zu Werke.

Solange es ein organisiertes Christentum gibt, solange schon währt sein Kampf gegen die natürliche Ordnung des Staates und gegen die blutgegebenen Voraussetzungen des Volkes.

Solange es eine Kirche gibt, gibt es auch einen „Kulturkampf“. Als die ersten christlichen Sendlinge ihre jüdische Heimat verließen, wandten sie sich an die Sklavenwelt und hetzten sie auf zum Widerstand gegen die Starken, die Herrschenden, die Gesunden. Man machte dem Schwächling klar, daß er durch die Gnade Gottes als gläubiger Christ dem Nichtchristen überlegen sei. Man griff die Tempel der Heroenkulte an, stürmte sie im Pöbelaufstand und setzte an die Stelle der Siegeszeichen das Kreuz der Demütigung als Symbol des Triumphes der Schwachen über die Starken.

Von unten her zerstörte man Reiche und Länder! Ohne aber eine neue Ordnung schaffen zu können! Die Kirchengeschichte hat versucht, die Entstehungsgeschichte des Christentums mit der Gloriol& des Märtyrertums zu umgeben.

Man hat es peinlichst zu verschweigen gesucht, daß das Christentum, sobald es über die Stadtmauern Jerusalems sich verbreitete, den Kampf um die Macht in der Welt aufnahm. Das Bild des Verneiners von Bethlehein wurde nach Belieben gefälscht. Der politischen Macht zuliebe nahm man in die religiöse Verkündigung alles das auf, was das Volk brauchte. Man bestahl die orientalischen Kulte, die Mysterien, alte Verheißungen und Symbole und führte die Masse zum Angriff auf den Staat der Starken vor. Mit frevlem Mut griff der Jude Paulus den Altar zu Athen an, der in echt arischer Ehrfucht der Griechen vor dem , ewigen göttlichen Gesetz dem Unbekannten Gott errichtet war, und verstieg sich zu der Behauptung, daß Gott erkannt und in Christus offenbart sei. Man lese die Stellen des Plinius, des Sueton, Julians des Abtrünnigen nach: das Christentum stand als nihilistische Sklavenlehre gegen die natürliche Ordnung auf.

Wenn der Staat in Verteidigung seiner Rechte zu Gegenmaßnahmen griff, schrien die Christen auf, fühlten sich als Märtyrer und schoben dem Staat die Schuld des Kulturkampfes zu.

Man lasse sich nicht irre machen: das Christentum hat immer den Anspruch der Totalität erhoben. Als im Mittelalter das Christentum zur völligen Herrschaft gelangte, warf es die Tarnung der Jenseitslehre von sich und errichtete sein Schreckensregiment, gegen das die sattsam bekannten „russischen Verhältnisse“ ein Kinderspiel sind!

Die blonden Söhne des Nordens, die den Nacken nicht beugen wollten, wurden gesteinigt, verbrannt, gemartert, gefoltert, ersäuft.

Ihre Namen wurden geschändet, ihre Ehre bespien. Wenn sie, den Freiheitsruf auf den Lippen, starben, drang der verhetzte Pöbel in die verlassenen Häuser und plünderte sie aus. Kaiser und Könige, Gelehrte und Freiheitskämpfer wurden von denen, die die Liebe verkündeten, geknechtet und gemordet.

Das Weltreich des Papstes stand da in gewaltigem Glanze und herrschte in Willkür und Grausamkeit. Obskure Pfaffen, seelische Betrüger und heilige Wollüstlinge hatten den Fuß auf dem Nacken der Welt und fühlten sich als Herren über die Starken. Die Unterwelt hatte gesiegt! Und vielleicht hätte diese Herrschaft solange gedauert, bis jedes starke Leben im Völkerbrei untergegangen wäre. Vielleicht wäre im christlichen Nihilismus die Kulturwelt untergegangen und Bastarde würden auf den Trümmern der zerstörten Reiche leben. Vielleicht! Wenn nicht der Norden da gewesen wäre mit seinen Ideen, mit seinem fanatischen Willen zur Freiheit und mit seinem entschlossenen Mut, der zur Tat treibt.

Darum wandte das päpstliche Rom seinen Blick nicht vom Norden ab und unterdrückte jeden Freiheitsausbruch, der von dort kam.

Als in Luther der Freiheitswille des nordischen Volkes zeitweilig durchbrach, lagen die ersten Aufstandsversuche – die lange vor Widukind begannen – schon längst im Schoße der Vergessenheit. Nicht einmal Grabsteine kennzeichneten den Ort des Todes, an dem die Blutzeugen des nordischen Kampfes Opfer des Hasses der organisierten Unfreiheit wurden. Aber im Herzen des germanischen Volkes lebte die Erinnerung an Freiheit und Wahrheit, an Größe und Macht fort und ließ die jungen Menschen nicht zur Ruhe kommen, trieb sie immer wieder an, dem Unrecht zum Trotz das Recht zu bekennen.

Als Luther starb, der für die Freiheit des Evangeliums und der Kirche gekämpft und darüber zum Schluß das Volk vergessen hatte, das die Freiheit vom Evangelium und der Kirche ersehnte, als die Confessio Augustana den Kirchenvätern entgegengesetzt wurde, als schließlich Melanchthon den revoltierenden Luther geistig besiegt hatte, setzte Rom sofort zum Gegenangriff auf den Norden ein und wußte geschickt die Bresche auszunutzen. Deutschland ehrgeizig gegen das wesentlich erfahrenere Rom zu kämpfen.

Eine Stellung nach der andern wurde dem Norden entrissen. Rom wußte, wie man Kaiser und Könige, Fürsten und Gelehrte gewinnen konnte und ging planmäßig vor.

Ein kirchenfreies Deutschland hätte den Angriff Roms abschlagen können, ein geeintes Volk wäre stark genug in sich gewesen.

So aber zerfiel Deutschland in Staaten und Gruppen und wurde so schwach, daß es ungefährlich erschien. Preußen war das einzige Land, das infolge seiner Armut, seiner Bereitschaft zum Krieg und seinem Arbeitswillen aus eigener Kraft, trotz heftigsten Kampfes, wieder erstarkt war. Von. Preußen ging die Erneuerung des deutschen Reiches aus. Es würde zu weit führen, in diesem Rahmen die einzelnen Phasen des Kampfes aufzuführen, den der Große Kurfürst, den Friedrich der Große, den Stein geführt haben.

Es genügt festzustellen, daß die Entschlossenheit dieser deutschen Männer größer war als das System der Knebelung.

Dostojewski hat einmal die Deutschen eine protestierende Nation genannt. Wenn das Wort wahr ist, so gilt es hauptsächlich von den entschlossenen Politikern des deutschen Nordens, die den schon fast zersetzten deutschen Süden und Westen den dunklen Mächten aus der Hand zu reißen suchten.

Bismarck suchte im Kampf die deutsche Einheit wieder herzustellen und stieß dabei auf den erbitterten Widerstand der von Rom her beeinflußten deutschen Länder.

Es blieb ihm, den man so häufig einen Christen nennt, nichts weiter übrig, als zur Waffe zu greifen, Das schon immer romhörige habsburgische Oesterreich mußte aus dem deutschen Bunde entfernt werden wie ein eiterndes Geschwür aus dem sonst gesunden Körper. Diese Schlappe versuchte Rom auszugleichen, indem es zum Kriege gegen den ketzerischen deutschen Norden hetzte. Man hoffte, die überwiegend katholischen süddeutschen Staaten würden dann die Gelegenheit benutzen, den gehaßten Preußen in den Rücken zu fallen. Die Hetze, die von Rorn aus gegen Preußen und den reien Norden entfaltet wurde, ist noch heute zu püren. Und die Sendlinge Roms verstehen sich ehr wohl darauf, das Feuer des Hasses zu schüren. Als nach den Revolutionsjahren von 1848 die deutsche Nationalversammlung tagte, bot Rom alle Mittel auf, Zersetzungskeime hineinzutragen. Das deutsche Volk schien schon um die Früchte von 1813 betrogen zu sein.

Die Politik des Vatikans ging darauf hinaus, ein Großdeutschland zu schaffen, das unter der Führung Habsburgs stehen sollte. Der Gedanke an das zukünftige Großdeutschland war so begeisternd, daß sehr viele Deutsche darüber vergaßen, daß dieses Zukunftsdeutschland katholisch sein würde!

Die Gegner der Großdeutschen, die sogenannten „Kleindeutschen“, die in Preußen das Kernland des zu errichtenden Reiches sahen und auf eine politische Ausschaltung Habsburgs hinauswollten, hatten keinen leichten Stand.

Daß sich die katholische Aktion der Führung Deutschlands bemächitgen wollte, geht aus der ganzen Haltung des von ihr vorgeschickten Abgeordneten August Reichensperger hervor, der im Frankfurter Parlament offen gegen das ketzerische Preußen hetzte. (Vgl. L. v., Pastor: A. Reichensperger.) Hier schon tauchte der Plan auf, Preußen und den Norden auszuschalten und einen süddeutschen katholischen Staatenbund zu errichten. Ein Plan, der bis in die jüngste Gegenwart von der katholischen Aktion aufrechterhalten worden ist. Politik und Religion haben jene römischen Christen nie trennen können, eben weil in ihrem Christentum der weltliche Machtanspruch enthalten ist.

Hier im Frankfurter Parlament entstand der Gedanke einer katholischen Partei, wie er später im Zentrum verwirklicht wurde. Die spätere Mainzer Bischof v. Ketteler, damals noch Pfarrer von Hobsten, forderte in aller Offenheit den Zusammenschluß der katholischen Süddeutschen gegen die protestantischen Norddeutschen.

Daß es in Frankfurt noch nicht zur Gründung der katholischen Partei kam, ist zum Teil das Verdienst des kleindeutsch eingestellten katholischen Generals von Radowitz, den allerdings Bismarck nie geschätzt hat und dem er von Herzen mißtrautet (Vergl. Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, Bd. I, 83.)

Es hat auch damals schon Katholiken gegeben, die dem kulturkämpferischen Einfluß Roms entgegenzutreten versuchten. Sie sind aber samt und sonders an die Wand gedrückt und als Verräter an der christlichen und katholischen Idee angesehen worden!

Geschickt wußten die Römlinge sich der Presse zu bedienen, ihr Organ, die „Historisch-Politischen Blätter“, gewann immer mehr Einfluß und wurde das Sprachrohr der Staatsfeindlichen und Unzufriedenen. Was auch Preußen tun mochte, die „Historisch-Politischen Blätter“ verdammten es in Grund und Boden er Haß wurde sorgsam geschürt und untermauert.

Als „Gelbe Hefte“ wurden diese Blätter sehr bald berüchtigt, bis sie das Verbot vom 16. 11. 1856 in Preußen unschädlich zu machen versuchte.

Schon damals verstand es der politische Katholizismus, sich mit Preußenfeinden im evangelischen Lager zu verbinden: eine Front verband süddeutsche Katholiken und evangelische Hannoveraner.

Es war selbstverständlich, daß sich die wirklich führenden Männer des geistigen Deutschland bedingungslos zum preußischen Norden bekannten. Heinrich von Sybel wurde wegen seiner romfeindlichen Gesinnung ebenso angegriffen und verleumdet wie Heinrich von Treitschke, der den Mut hatte, das katholische Christentum mit geistiger Knechtschaft gleichzusetzen. In seiner Schrift Jundesstaat und Einheitsstaat“ sagt Treitschke den Dunkelmännern unverblümt und mit erfreulicher Derbheit die Meinung.

Nach einigen unbedeutenden Vorversuchen wurde im Jahre 1859 der „Deutsche Nationalverein“ gegründet, der die Ziele des romfreien Nordens vertrat. An die Spitze des Vereins trat Rudolf von Bennigsen. Sofort fiel die Meute der Dunkelmänner über diesen Verein her und verdächtigte ihn nach alter Methode als kulturkämpferisch. Bischof v. Ketteler wurde das geistige Haupt der katholischen Aktion. Die Fäden, die nach Rom und in das deutschfeindliche Ausland liefen, wurden zahlreicher, und die Unterstützungen jeglicher Art, die von dorther kamen, wurden großzügiger, je mehr man erkannte, daß der deutsche Norden im Begriff war, dem kommenden Deutschland seinen Stempel aufzudrücken.

Man stellte von römischer Seite als Spitze gegen den Nationalverein den „Deutschen Reformverein“ auf, der nun gewerbsmäßig die Ziele des Nationalvereins zu sabotieren suchte.

Schon damals verstand es der politische Katholizismus trefflich, seine mehr als reaktionären Ziele hinter einem angeblichen politischen Liberalismus zu verbergen. Mit dem Wort“Reform“ allein schon versuchte man das liberalistische Bürgertum zu gewinnen.

In klarer Erkenntnis, daß das Unglück Deutschlands so oft vom päpstlichen Rom ausgegangen oder doch wenigstens von dort angeregt worden ist, unterstützte Preußen den Freiheitskampf des 1861 gegründeten Königreichs Italien gegen den Papst zu Rom und seinen Kirchenstaat. Man versuchte damit, den ewigen Gegner zu treffen, der im Haus Habsburg seinen Vorposten in Deutschland hatte. Und als Bismarck die Habsburger aus der Vormachtstellung vertrieb, leistete ihm Italien Hilfestellung. Es ist bekannt, daß bestimmte katholische Kreise bis auf den heutigen Tag ihre Hetze gegen Bismarck hauptsächlich mit seinem Vorgehen gegen Habsburg begründeten. Die katholisch beeinflußte Geschichtsschreibung möchte am liebsten den norddeutschen Bismarck für alle Rückschläge nach 1871 verantwortlich machen.

Tatsächlich war Bismarck zu sehr Nationalist im heutigen Sinne, als daß er ein romhöriges österreichisches Herrscherhaus an der Spitze der deutschen Nation hätte sehen können. Für ihn war Habsburg mit seiner von Rom gegängelten Politik der Krebsschaden Deutschlands. Rom scheute sich nicht, deutsche Menschen mit konfessionellem Haß zu erfüllen, daß sie auch vor Landesverrat nicht zurückschreckten. Man versuchte, einen antipreußischen Bund Oesterreichs, Süddeutschlands und womöglich Frankreichs auf die Beine zu bringen. Der konfessionelle Haß Roms ging soweit, daß allen Ernstes versucht wurde, bei Beginn des deutsch französischen Krieges die süddeutschen Staaten zu veranlassen, sich auf die Seite Frankreichs zu stellen.

In diesem Zusammenhang ist es interessant zu wissen, daß gewisse ultramontane Kreise bewußt zum deutschfranzösischen Kriege hetzten, um dann ihre Ziele zu erreichen.

Rom hat es von jeher verstanden, Kriege zu entfesseln und sich dabei bestimmter katholisch regierter Staaten zu bedienen. Rom hat dabei einen bestimmten Plan, nach dem es die Welt aufteilen will. Es operiert nicht nur mit Begriffen wie Glauben oder Gott oder Kirche, sondern verteilt auch geschickt Orden, Ehren und Kronen. Rom weiß um die menschlichen Schwächen der Herrscher und Regierungsmänner, die es für sich gewinnen will. Rom verbündet sich darum durchaus planvoll heute mit sogenannten konservativen Kreisen und morgen mit nihilistischen. Ob Gott oder Teufel, wenn es nur Rom dient!

Auch als das Deutsche Reich in Versailles begründet wurde, gab Rom die Hoffnung noch nicht auf und versuchte bis zuletzt, Bayern davon abzuhalten, dem neuen Reich den Treueid zu leisten. Eine Reihe von Schlachten wurde in der ersten Etappe des Kampfes um das Reich geschlagen, die meisten waren für Rom diesmal noch Niederlagen. Nachdem in der Reformation das Heilige Römische Reich Deutscher Nation in die Brüche gegangen war, verfuhr Rom nach seinem alten Wahlspruch „divide et impera“ und trieb eine -rücksichtslose Zerstückelungspolitik in Deutschland. Die Gegenreformation kaufte sich evangelisch gewordene Fürstenhäuser zurück und veränderte in einem Jahrhundert die Landkarte Deutschlands wesentlich. Ueberall waren durch Rom in dem eben erstandenen freien Deutschland Keimzellen in Form kleiner Territorien entstanden.

Fast schien es, als ob die katholische Aktion gesiegt hätte und Deutschland an Rom zurückfallen würde, als, allen Berechnungen zum Trotz, ein nationales Erwachen durch Deutschland ging, daß jung und Alt die Waffe nahm und zum Freiheitskampfe rüstete. Es scheint so, als ob immer im letzten Augenblick der Geist des Nordens die Pläne Roms zuschanden macht.

Das junge Reich erstand, und der Geist des Nordens ließ es nicht zu, daß die Keimzellen den Leib der Nation von Anfang an vergifteten.

Die Fesseln des Geistes

Rom ist immer nur dann fortschrittlich, wenn es damit einen politischen Fortschritt, einen Vorteil in der Machtfrage erlangen kann.

Sonst hat es im Interesse seiner Herrschaft immer peinlichst danach gestrebt, ja keine Veränderungen des Weltbildes, wie es in der Bibel aufgezeichnet ist, zustandekommen zu lassen. Alle umwälzenden Entdeckungen haben die römische Kirche zum Feind gehabt, und im Interesse der „Heiligkeit des Christentums“ wurden neue Gedanken verfolgt.

Wenn es nach Rom ginge, würde das Weltbild des Mittelalters über Nacht zwangsweise zurückgeführt werden. Das heißt: nicht technisch, sondern weltanschaulich!

In technischen Dingen läßt Rom dem Spiel der Gedanken und der Geister freien Raum. Es ist zu klug, hier zu drosseln. Aber weltanschaulich wehrt es sich gegen Neuerungen. Es ist konservativ aus Berechnung. Denn Rom lebt nun einmal von der Abhängigkeit einfältiger Gemüter, und jede Erkenntnis außerhalb des Dogmas der Kirche wird der Macht Roms gefährlich. Die Naturwissenschaft wie die Geisteswissenschaft bringen als selbstverständliche Folge eine Erschütterung des primitiven Glaubens an den persönlichen Gott, den göttlichen Mittler Jesus, den Auferstandenen, die Jungfräulichkeit Marias, die Heiligen und Nothelfer, die Priesterweihe, die Verwandlung im Abendmahl, die Exklusivität der Taufe, kurz eine Erschütterung des Glaubens grade an all das, worauf die Kirche ihre Macht stützt.

Was dieser Macht gefährlich ist, wird verdammt, was ihr Nutzen bringt, wird geheiligt. Ob dabei die Welt zusammenbricht, ist eine Frage, die Rom nicht interessiert.

Je weitherziger die Forschung wird, um so fanatischer und kompromißloser kämpft der Papalismus. Es ist hochinteressant festzustellen, daß gerade in dem Augenblick, als die Aufklärung Triumphe feierte, die Bulle ..Ineffabilis Deus“ vom 10. 12. 1854 die Tatsache der unbefleckten Empfängnis der Maria als Dogma ausgab!

Je mehr Rom geistig an Boden verlor, um so mehr begann es sich auf die Jesuiten und ihre obskure Moral zu stützen. Und je mehr der Jesuitismus an Boden gewann, um so intoleranter wurde er gegen jede geistige Entwicklung.

Und kaum war diese Bulle in die Welt geschleudert, als auch schon der römische Vorstoß gegen das gesamte moderne Kulturleben folgte.

Schritt für Schritt ging Rom auf die scheinbar uneinnehmbare Festung der Scholastik und des Thomismus zurück. Diese Festung ist deshalb so schwer zugänglich, weil sich hier der im Größenwahnsinn erstarrte Buchstabenglaube mit mitleidigem Lächeln über den Geist stellt.

Die feinen Waffen des Geistes sind in solchen Fällen unwirksam! Am 8. 12. 1864 erschien die Verdammungsliste „Syllabus“, in der generell mit der modernen Zeit abgerechnet und in der sie in fast allen ihren Aeußerungen und Erscheinungen verflucht wird.

Bezeichnenderweise wird auch im Sylfabus der Sozialismus verdammt, was aber Jahrzehnte später die römischen Sendlinge durchaus nicht hinderte, mit dem verketzerten Sozialismus Brüderschaft zu schließen, wo es galt, den Geist des Nordens zu verdrängen.

Das Elaborat des Syllabus ist nicht etwa eine Arbeit irgendeiner zweitrangigen Instanz gewesen, wie es wohl hier und da von gebildeten Katholiken, die sich der Sturheit ihrer Kirche schämten, behauptet wurde, sondern vielmehr eine Schöpfung des Papstes selber.

Es dürfte interessant sein, zu wissen, als wen sich der Papst in jener Zeit ausgab.

Am 16. 6. 1867 erklärte der Papst:

Gott hat mich aufgestellt, um die Gesellschaft zu leiten und zu erleuchten, um sie zur Erkenntnis des Uebels zu befähigen und offen das Heilmittel dafür zu bezeichnen. Um diese Pflicht zu erfüllen, habe ich vor wenigen Jahren eine Erklärung, welche euerm Andenken noch gegenwärtig ist, den Syliabus, veröffentlicht. Diese Erklärung bekräftige ich in eurer Gegenwart, hinfort soll sie die Richtschnur all eurer Lehre sein. Die Erklärung welche ich veröffentlicht habe, soll die Lichtsäule sein.“

(Vgl. Sägemüller (Schanz), „Syllabus“.)

Hier schon beginnt der Anspruch des Papstes, der geistige Leiter der Welt, der Gesellschaft, zu sein. Das ist der totale Anspruch Roms in der Neuzeit. Und dieser Anspruch ist die Herausforderung an den Geist des Nordens, der die Freiheitsidee verkündet.

In Rußland, Frankreich und Italien wurde die Veröffentlichung des Syllabus aus politischen Bedenken sofort verboten.

Man weiß allerdings, wie es mit solchen Verboten in der Praxis beschaffen ist. Tatsächlich kam eine ungeheure Spannung und Erregung in den Ländern auf. Das Volk wurde systematisch in den Konflikt zwischen Rom und Nation, zwischen Glauben und Geist gebracht. Von diesem Zwiespalt baut sich Rom auch in ärmster Zeit Paläste!

Bismarck war der Ueberzeugung, daß die Durchführung des Syllabus alle weltliche Gewalt erschüttern müsse.

Und in dieser Ueberzeugung hatte er durchaus recht, denn es ging dem römischen Christentum tatsächlich darum, durch ein schnell heraufzuführendes Chaos die kommende Ordnung zu beseitigen, weil die kommende Ordnung in ihrem Plan keinen Platz für den römischen Weltgeist hatte!

Bezeichnend ist wieder, daß Rom hastig bei der Hand war, den Sinn des Syllabus zu verdrehen und zu verdeuteln, ohne jedoch auch nur ein Wort von ihm zurückzunehmen.

Der Bischof Ketteler stellte sich mit der Miene eines Biedermannes hin und beteuerte, der Papst verurteile nur jenes Lügensystem, das sich Fortschritt nenne, um gegen jeden sittlichen Fortschritt zu kämpfen, das sich Liberalismus nenne, um die Freiheit der Guten zu hindern und die Freiheit des Bösen zu fördern, das sich Zivilisation nenne, um die christliche Religion rückgängig zu machen und uns wieder allen Greueln des Heidentums zuzuführen! (Vgl. v. Ketteler: Deutschland nach dem Kriege von 1866, S. 145). Es ist überaus interessant, festzustellen, wie schon damals mit dem Begriff „Greuel des Heidentums- operiert wurde! Zu allen Zeiten hat Rom als Kinderschreck das Heidentum angeführt, um damit den Altweiberseelen die erforderliche Angst vor Hölle und Teufel einzujagen. Und um des ominösen „Seelenheils“ willen verzichtet dann tatsächlich manch Schwacher auf Freiheit und wahren Glauben und gibt sich der alleinseligmachenden Kirche hin! Daß grade die größten und gemeinsten Greuel nicht zu Zeiten des edlen Heidentums, sondern im allerchristlichsten Mittelalter verübt worden sind, wird peinlichst verschwiegen, denn die Geschichte der Kirche ist alles andre als die wahre Geschichte der Völker.

Eine ganze Reihe gläubiger Katholiken, die den jesuitischen Zwang zur Dummheit ablehnten, kamen in ernste Gewissenskonflikte mit dem Syllabus; aber auf diese Gruppe legte die Kirche weniger Wert, weil sie fürchten mußte, daß, wenn einmal einer ernsthaft über den Weg der Kirche nachsänne, er eines Tages ihr den Rücken kehren müßte. Rom war schlau genug, sich in dem nun einsetzenden Kampf um den Syllabus zurückzuhalten und seinen Kreaturen die Auslegung und Verdrehung einzelner Sätze zu überlassen. Man stellte zwar eine Ergänzung in Aussicht, dachte aber gar nicht daran, eine auch nur andeutungsweise ausweichende oder abmildernde Erklärung zu geben. Was Rom einmal gesagt hat, nimmt es nicht wieder zurück. Es wird auch niemals von dem einmal eingeschlagenen Wege zur Weltherrschaft freiwillig auch nur einen Schritt weichen, weil es sich damit selbst aufgeben würde. Man muß sich diese Tatsache vor Augen halten, will man die Taktik Roms verstehen.

Der erste Vorstoß zur unbedingten Seelenherrschaft war getan. Der Vatikan hatte insofern gesiegt, als die Regierungen der europäischen Länder diese Kriegserklärung nicht umgehend mit Vergeltungsmaßnahmen beantworteten.

Vergeltungsmaßnahmen wären beispielsweise bereits damals die Ausweisung der römischen Sendlinge aus den Ländern, die Fernhaltung romhöriger Lehrer aus Schulen, Universitäten, politischen und wirtschaf tlichen Aemtern, besonders aber, aus der Armee gewesen. Man sah aber allgemein in jenem liberalistischen Zeitabschnitt das römische Christentum für eine Angelegenheit des Glaubens und diesen als eine Privatsache an, darum glaubte man, mit Rücksicht auf die Rechte der Persönlichkeit von einem scharfen Zupacken absehen zu müssen.

So konnte Rom über die persönlichen Reservate bestimmter Kreise im Volke seinen Einfluß wahren und durch die Fanatisierung angeblich religiöser Instinkte auch noch mehren.

Pius IX. ging nach einer kurzen strategischen Pause sofort einen Schritt weiter, er ließ verlauten, es solle mit Rücksicht auf die schwer erschütterte Lage der Kirche und überhaupt wegen der allgemeinen Zerrüttung der bürgerlichen Gesellschaft alles getan werden, was zur Wiederherstellung der Sitten, zur Befestigung des Glaubens und überhaupt zur Wahrung, des allgemeinen Friedens beitrüge!

Solche Verlautbarungen lesen sich zunächst harmlos, wenn man nicht bedenkt, daß beispielsweise „Wiederherstellung der Sitten“ nichts anderes bedeutet als Herrschaft des katholischen Sittengesetzes und damit ausschließliche Priesterherrschaft in Dingen des privaten und öffentlichen Lebens. „Befestigung des Glaubens“ heißt soviel wie ausschließliche Herrschaft der katholischen Lehre!

Eine Parallele bietet das Dollfuß-Schuschnigg-Oestereich, in dem fast alle Erziehungsmöglichkeiten in die Hand der Priester gegeben waren. Es gab in Deutschland noch eine große Anzahl von Gutgläubigen, die da meinten, der Papst könne unmöglich in einer modernen Zeit mit derartigen mittelalterlichen Ansprüchen kommen. Denen wurden die Augen erst geöffnet, als die „Civilta cattolica“, das offiziöse Blatt des Papstes, mitteilte, das gerade tagende Konzil würde den Syllabus und die Unfehlbarkeitslehre definieren.

Jetzt sah man, daß der totale Machtanspruch des Papstes zunächst auf dem Gebiet des Geistes Tatsache war.

Mit welcher Arroganz und Ueberheblichkeit der Papst zu dem Konzil lud und was man von Anfang an von ihm erwarten mußte, geht aus einer Bulle vom 29. Juni 1868 hervor. Es heißt in ihr:

„Es ist allen bekannt und liegt klar zu Tage, von welch schrecklichem Sturme gegenwärtig die Kirche erschüttert und von wie vielen und welch großen Uebeln auch die bürgerliche Gesellschaft darniedergedrückt wird. Denn von den heftigsten Feinden Gottes und der Menschen wird die katholische Kirche und ihre heilbringende Lehre und ehrwürdie Gestalt, wie die höchste Autorität dieses apostolischen Stuhles angegrilfen und mit Füßen getreten, wird alles Heilige verachtet, das Kirchengut geplündert, werden Bischöfe, die angesehensten Geistlichen und katholisch gesinnten Männer auf alle Weise gequält, die religiösen Ordenslamtlien ausgelöst, dazu gottlose Schritten jeder Art und pestartige Zeitungen mit vielgestaltigem höchst verderblichem Sektenwesen allenthalben verbreitet, und der Unterricht der unglücklichen Jugend nahezu überall der Geistlichkeit entzogen, um sie, was noch schlimmer ist, an nicht wenigen Orten den Lehrmeistern in der Schlechtigkeit und im Irrtum zu überantworten. Aus den angegebenen Gründen haben Wir den Zeitpunkt für gekommen erachtet, zu einem allgemeinen Konzil wie es schon längst Unser Wunsch war, alle Unsre ehrwürdigen Brüder, die Bischöfe des ganzen katholischen Erdkreises, welche zur Teilnahme an Unserer Hirtenfürsorge berufen sind, zu versammeln.“

Hier schon zeigt sich die Meisterschaft Roms, Gegner in der gemeinsten Art zu diffamieren, sie als den Auswurf der Menschheit hinzustellen und mit einem frommen Augenaufschlag von der unglücklichen Jugend zu sprechen!

Schlimmere Folgen der Verlogenheit gibt es nicht, denn dem unbefangenen Leser muß unwillkürlich das Bild aufgehen, als herrsche überall dort, wo der Arm Roms nicht hinreicht, Gemeinheit, Verbrechen und Laster. Ein Volk, das sich zur Freiheit bekennt und die Wege Roms beargwöhnt, ist nach römischer Lesart verworfen und verdammt, während eines, das beispielsweise Rassenschande treibt und politisch, ethisch und sittlich entartet, in den Augen Roms ein Werkzeug Gottes wird. Vorausgesetzt, daß es das tut, was Rom befiehlt!

Eine besondere Unverfrorenheit liegt darin, daß im Gegensatz zu den deutschbewußten Staatsmännern, die ihrer dem Volk verantwortlichen Einstellung willen in den Schmutz gezogen werden, die römischen Hetzapostel als Märtyrer hingestellt werden, die um ihres Glaubens willen gefoltert werden!

Man muß sich nur vergegenwärtigen, wie jene römischen Sendlinge von den Kanzeln und Kathedern her gegen alles Romfreie und Volksbewußte zu Felde zogen, wie sie den Staat zu unterminieren dachten, wie sie provozierten und Zwietracht säten, bis der fast übermäßig tolerante Staat eingriff!

Jahrzehnte später wagten Römlinge zu bedauern, daß es keine Scheiterhaufen mehr in Deutschland gebe!

Unter dem schwarzen Deckmantel ihres Glaubens wagen die Dunkelmänner es bis auf den heutigen Tag, das germanische Freiheitsgefühl, das deutsche Denken und die nordische Tat mit den gehässigsten Ausdrücken zu bezeichnen. Und wenn dann deutsche Menschen empört die Ehre der Nation zu verteidigen wagen, so antworten jene Unverschämten mit Index und Bann und schreien ihrerseits von Vergewaltigung. Es gibt kein Maß auf Erden, mit dem die römische Schande gemessen werden kann. Am 6. Februar 1869 stand es schwarz auf weiß in der „Civilta cattolica“ zu lesen,

daß die Katholiken mit Freude die Verkündigung der päpstlichen Unfehlbarkeit durch das Konzil entgegennehmen würden!

Es gab eine Reihe von einsichtigen Katholiken, die diesen Frevel am gesunden Menschenverstand ablehnten und vor den Folgen warnten, die eine solche Knechtung des Geistes und der Wahrheit, des Verantwortungsbewußtseins und der Ehrlichkeit zwangsläufig haben mußten. Der Münchener Universitätstheologe Döllinger verfaßte die Schrift „Der Papst und das Konzil“ und warnte als katholischer Christ. Der bayrische Minister Fürst von Hohenlohe ließ als deutscher Staatsmann katholischen Glaubens ein Rundschreiben herausgehen, in dem er eindringlichst vor der Erklärung der Unfehlbarkeit warnte. Diese Erklärung reiche weit über das rein religiöse Gebiet hinaus und sei hochpolitischer Natur, da hiermit auch die Gewalt der Päpste über alle Fürsten und Völker, auch die von der Katholischen Kirche getrennten, in weltlichen Dingen entschieden und zum Glaubenssatz erhoben sei! Auch gegen den Syllobus nahm Hohenlohe Stellung, da die Artikel des Syllabus gegen mehrere wichtige Axiome des Staatslebens, wie es sich bei allen Kulturvölkern gestaltet habe, gerichtet seienl Bezeichnenderweise war es ein Katholik, der so sprach. Die Erregung besonders der deutschen Staaten, die sich zu Recht von dem anmaßenden Vorgehen des Vatikans beleidigt fühlen mußten, war so groß, daß ein Vorgehen gegen den Papst unerläßlich schien. Vielleicht hätte damals schon vor der offiziellen Unfehlbprkeitserklärung mit einer Handbewegung die „römische Frage“ beseitigt werden können, wenn – Oesterreich nicht gewesen wäre! Oesterreich war auch damals das besondere Werkzeug Roms in Deutschland, gewissermaßen der Gerichtsvollzieher des römischen Tribunals. Als vor allem auch die süddeutschen Staaten mit überwiegend katholischer Bevölkerung aus Gründen der Staatsraison ein gesamtdeutsches Vorgehen gegen die römische Anmaßung planten, sabotierte Habsburg dieses Vorhaben. Der Römling Graf Beust depeschierte am 15. Mai 1869, es sei unmöglich, gegen Rom Präventivmaßnahmen zu ergreifen, da man noch nicht wisse, wie sich die Sache gestalten werde und ob überhaupt Gefahr vorhanden sei. Außerdem hoffe man zuversichtlich, daß es genug besonnene und einsichtige Prälaten gebe, die eine Gefährdung des Friedens und der Sicherheit nicht zulassen würden!

Hier bewährte sich wieder einmal die sattsam bekannte römische Taktik, in einer entscheidenden Situation die Lage zu verharmlosen. Diese Taktik hat schon zu Kriegen geführt, die um so verderblicher wurden, je harmloser die Lage vorher hingestellt wurde!

Durch die Torpedierung der deutschen Widerstandspläne durch Oesterreich blieb die Lage ungeklärt. In einem Schreiben vom 14. Mai 1869 an Bismarck machte der preußische Gesandte beim päpstlichen Stuhl, Graf von Arnim, den Vorschlag, die Zulassung von Vertretern der einzelnen Regierungen beim Konzil zu verlangen, da es sich bei diesem Konzil ja nicht allein um religiöse Angelegenheiten handle, sondern im Gegenteil Dinge von höchst wichtiger politischer Bedeutung verhandelt würden, an denen die Regierungen das stärkste Interesse hätten.

Bismarck lehnte den Vorschlag Arnims ab und legte seinen Standpunkt in der denkwürdigen Depesche vom 26. Mai an Arnim nieder. Dort führt Bismarck aus:

„Es ist mir kaum zweifelhaft, daß Rom den Anspruch protestantischer, d. h. ketzerischer Regierungen – und als solche wird man in Rom Preußen und die Mehrheit der deutschen Regierungen immer ansehen – auf Vertretung nicht anerkennen wird. Eine Forderung aber zu stellen, welche nicht durchgesetzt werden kann, würde die Regierungen nur in eine schiele Lage bringen, ihrem Protest aber sicherlich keine größere Kraft verleihen…

Protest einzulegen ist immer eine undankbare Mühe und hat nur dann eine Bedeutung, wenn es in der Macht des Protestierenden liegt, dasjenige zu verhindern, wogegen er protestiert…

Für Preußen gibt es verfassungsmäßig und politisch nur einen Standpunkt, den der vollen Freiheit der Kirche in kirchlichen Dingen und der entschiedenen Abwehr jedes Uebergriffs auf das staatliche Gebiet.

Dieses Telegramm Bismarcks zeigt die einzig mögliche Haltung des Staates: ein deutscher Staat lehnt es ausdrücklich ab, mit dem Kirchenstaat politische Verhandlungen anzuknüpfen. Auf dem Gebiet des Glaubens, d.h. des vom politischen gelösten Glaubens und der Glaubensbetätigung ist der Staat tolerant, er verflucht aber mit allem Nachdruck und allen Mitteln seinen totalen Anspruch auf die Glieder des Staates in allen politischen Fragen. Im Augenblick, wo eine überstaatliche Macht in die politischen Geschicke der Nation einzugreifen sucht, trifft sie der bewaffnete Arm des wachsamen Staates.

Bismarck war natürlich kein Prophet, um vorauszusehen, daß für Rom eine Freiheit in kirchlichen Dingen gleichbedeutend sein mußte mit totaler geistiger Herrschaft. Erst später sah Bismarck ein, daß Rom stets von Unterdrückung spricht, wenn es nicht die ganze Macht besitzt.

Der vom Vatikan in jeder Weise verketzerte Bismarck versuchte alles, um auf friedliche Weise eine Beilegung der Konfliktstoffe zu erreichen. Ihm lag nichts an einem Religionskampf. Er war ein zu guter Deutscher, um nicht in großzügigster Weise jede religiöse Ueberzeugung zu achten. Noch am 11. August 1869 schrieb er an Hohenlohe, daß auf jeden Fall eine friedliche Verständigung angestrebt werden müßte.

Am 6. September 1869 erschien der „Hirtenbrief der in Fulda versammelten deutschen Bischöfe“. Es war der typische Vermittlungsversuch. Auf der einen Seite wollten die Bischöfe den schlechten Eindruck, den das Konzil bereits vor seinem Zusammentritt durch die zahlreich umherschwirrenden Gerüchte machte, verwischen, auf der andern Seite wollten sie dem Konzil den wohlgemeinten Rat geben, den Bogen nicht zu überspannen.

Der Hirtenbrief mit seinen zahlreichen Beteuerungen, der Loyalität gegenüber dem Staat und der Wissenschaft hatte zur Folge, daß die Regierungen die Bischöfe ihrer Länder mit den besten Wünschen zum Konzil ziehen ließen in der Hoffnung“ daß nun eine glückliche und friedliche Einigung erzielt werden würde.

Das einzige Land, das dem Frieden nicht traute, war Rußland. Es verbot kurzerhand seinen Bischöfen die Ausreise zum Konzil.

Der preußische Kultusminister v. Mühler schrieb sogar noch an den Erzbischof von Köln am 10. Oktober 1869 einen sehr herzlichen Brief, in dem er nachdrücklichst vom Vertrauen seiner Regierung gegenüber den preußischen Bischöfen sprach und von der Hoffnung, daß auch außerhalb des Heimatlandes die Bischöfe stets sich ihrer Rechte und Pflichten als Preußen bewußt bleiben würden!

Am 8. Dezember 1869 wurde das Konzil eröffnet. Zunächst stand eine gewisse Opposition, die sich aus deutschen, österreichischen und auch französischen Bischöfen zusammensetzte, prinzipiell gegen das römische Beginnen.

Nun begann der interne Kampf.

Am 3. Januar 1870 reichten in gemeinsamer Eingabe 369 Mitglieder des Konzils, also die riesige Mehrzahl der katholischen Würdenträger, die sogenannte „Infallibilitäts-Petition“ ein, in der kurz und bündig um die Verkündung der Unfehlbarkeit des Papstes gebeten wurde.

Ende Januar kam der sehr matte Gegenstoß der Minderheit, die nun in einer Eingabe den Papst bat, von der Unfehlbarkeitserklärung abzusehen. Diese Eingabe legte man in Rom ebenso schnell zu den Akten wie die Proteste einiger Regierungen.

Rom versteht es meisterlich, über jeden harmlosen Vorstoß milde zu lächeln und – zu schweigen! Da bisher Konzilbeschlüsse einstimmig gefaßt werden mußten, wurde festgesetzt, daß in Zukunft Mehrheitsbeschlüsse genügen sollten. Das war am 20. Februar 1870.

Acht Tage später protestierte der mannhafte Führer der französischen Katholiken, Graf Montalembert. Es war alles vergeblich.

Am 6. März erfolgte die Vorlegung der Definition der Unfehlbarkeit:

„… So lehren wir mit der Zustimmung des heiligen Konzils und definieren es als ein Dogma des Glaubens, daß kraft des göttlichen Beistandes der römische Papst, von dem in der Person des Heiligen Petrus gleichfalls von unserem Herrn Jesu Christo gesagt ist: Ich habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht wanke! wenn er in Uebung des Amtes als höchster Lehrer aller Christen mit seiner Autorität definiert, was in Sachen des Glaubens und der Moral von der ganzen Kirche zu halten sei, nicht irren könne…“

Nun wurde es auch den Gutgläubigsten klar, daß Rom auf dem besten Wege war, sein politisches Vorhaben zu gewinnen.

Die Proteste wurden stürmischer und zahlreicher: am 4. April erfolgten Schritte Frankreichs, am 23. legte Preußen seinen Widerspruch ein. Am 8. Mai protestierten sogar einige Bischöfe gegen die sofortige Beratung der Unfehlbarkeitslehre.

Rom schob alle Einwände zur Seite und trieb zur Abstimmung die am 13. Juli erfolgte.

Eine Reihe von Würdenträgern war in kluger Berechnung bereits vor der Abstimmung abgereist. Ihr Schritt war auf der einen Seite eine geschickte Verbeugung vor der Regierung des Heimatlandes, andererseits konnte er den römischen Zielen nicht mehr schaden, nachdem nur noch die einfache Mehrheit zur Beschlußfassung genügte.

Bei der Abstimmung waren im ganzen noch 601 Prälaten da. Von diesen gaben 451 ihr Placet ab, 62 sagten Placet juxta modum und ganze 88 stellten sich mit ihrem Non Placet gegen die Offensive des jesuitischen Roms.

Damit war das Unfehlbarkeitsdogma Tatsache geworden, damit hatte der skrupellose Jesuitismus sein Ziel innerhalb der Kirche erreicht und konnte nun nach der erfolgten Zielsetzung und Sammlung zum Angriff auf die Kulturwelt übergehen.

Die Minoritätsbischöfe gaben noch eine Erklärung ab und verließen Rom.

Am 18. Juli 1870 wurde unter großem Jubel der christlichen Herde, die von getreuen Leithammeln aus aller Herren Länder nach Rom getrieben worden war, um den nötigen Hintergrund zu diesem weltbewegenden Ereignis zu geben, die Unfehlbarkeit des Papstes verkündet.

„Indem Wir getreulich festhalten an der von Anbeginn des christlichen Glaubens Überkommenen Ueberlieferung, lehren Wir, mit Zustimmung des hl. Konzils, zur Ehre Gottes, Unseres Heilandes, zur Erhöhung der katholischen Religion und zum Heile der christlichen Völker, und erklären als einen von Gott geollenbarten Glaubenssatz: darf der römische Papst, wenn er von seinem Lehrstuhl aus (ex cathedra) spricht, d. h. wenn er in Ausübung seines Amtes als Hirt und Lehrer aller Christen, kraft seiner höchsten apostolischen Gewalt, eine von der gesamten Kirche festzuhaltende, den Glauben oder die Sitten betreffende Lehre entscheidet, vermöge des göttlichen, vom Hl. Petrus Ihm verheißenen Beistandes eine Unfehlbarkeit besitzt, mit welcher der göttliche Erlasser seine Kirche in Entscheidung einer den Glauben oder die Sitten betreffenden Lehre ausgestattet wissen wollte. und daß daher solche Entscheidungen des römischen Papstes aus sich selbst, nicht aber erst durch die Zustimmung der Kliche, unabänderlich sind. So aber Einer, was Gott verhüte, wagen sollte, dieser Unserer Entscheidung zu widersprechen, der sei  im Banne.“

Am 20. September besetzten italienische Truppen Rom und bereiteten damit der weltlichen Herrschaft des Papstes ein Ende, soweit sich diese Herrschaft auf den Kirchenstaat erstreckte. Das Konzil wurde auf unbestimmte Zeit vertagt! Die Unfehlbarkeit aber war nun einmal Dogma geworden!

 

Der Kampf gegen Deutschland

Inzwischen war der Krieg zwischen Deutschland und Frankreich ausgebrochen.

Bismarck stellte als verantwortungsbewußter Staatsmann die römische Angelegenheit sofort zurück, um die Hände frei zu bekommen für den bewaffneten Kampf der Nation. Wie er in einem Telegramm an Arnim schrieb, war ihm „die Infallibilität augenblicklich ohne Interesse“. Selbstverständlich aber dachte Bismarck durchaus nicht daran, sich die Provokation Roms nun gefallen zu lassen, dazu war er ein zu guter Deutscher, als daß er nicht eine Beleidigung mit einer Gegenmaßnahme beantwortet hätte. Dem Großherzog von Baden versicherte er ausdrücklich, daß er nach Beendigung des Krieges gegen die „Unfehlbarkeit“ vorgehen würde. (Vgl. Tagebuch Kaiser Friedrichs. Deutsche Rundschau LVII (1888) 16.)

Bismarck hielt den Burgfrieden, während draußen die deutschen Truppen für die Ehre der Nation gegen Frankreich kämpften. Und während im Felde evangelische und katholische Soldaten ihre Konfessionen vergaßen und ganze Deutsche wurden, die für ihr Volk, das unabhängig von allen Konfessionen da ist, kämpften und starben, wühlten die Dunkelmänner im Innern des Reiches und versuchten, eine politische Einigung durch schnell gesätes konfessionelles Mißtrauen zu verhindern.

Dieselben Bischöfe, die noch knapp ein Jahr zuvor ihre warnende Stimme gegen die Anmaßung des jesuitischen Papsttums erhoben hatten, stellten sich nun im August 1870 in einem Beschluß ihrer Fuldaer Bischofskonferenz unter das Machtwort des Papstes und des KonziIs. Nur einige katholische Universitätsprofessoren der Theologie stellten sich gegen den Papst und waren Manns genug, für ihre Ueberzeugung auch die nötigen Konsequenzen zu ziehen, es waren Männer wie Döllinger, Reinkens, Schulte und andere.

Diese Opposition war in ihrer Auswirkung zunächst fast bedeutungslos, da sich die katholischen Massen mit theologischen Fragen nicht abgaben und auch keine Verbindung zu den Theologen hatten. Die Massen gingen in die Kirchen und standen vor den Kanzeln – die Kanzeln aber waren besetzt von uItramontanen Priestern! So kam es, daß in kurzer Zeit das katholische Kirchenvolk fanatisch für den Unfehlbarkeitsanspruch des Papstes eingenommen war, denn der Staat war zu großzügig, um die Kanzeln etwa zu beaufsichtigen. Und Rom war skrupellos genug, diese Großzügigkeit weitgehendst auszunutzen.

Am 25. August trafen sich die überzeugungstreuen Professoren in Nürnberg, um der am 30. August tagenden Fuldaer Bischofskonferenz zuvorzukommen.

In Nürnberg las Döllinger einen Aufruf vor, der sich im Interesse des Christentums gegen die ultramontanen Umtriebe richtete und dafür warb, ein unbeeinflußtes Konzil diesseits der Alpen zu berufen. Dieses mannhafte Bekenntnis machte einige Unentschiedene unter den Professoren noch ängstlicher als sie vordem schon waren, so daß ein Beschluß noch nicht gefaßt werden konnte. Einige Herren brauchten noch Zeit zur „reiflichen Ueberlegung“. Diese Gelegenheit benutzte Rom geschickt, um über den Umweg einer leicht beschafften Indiskretion die Nürnberger Bekenner zu diffamieren, bevor von Nürnberg auch nur der geringste Vorstoß unternommen worden war. Geschickt verstand der Vatikan, in der ihm hörigen Presse einen Entrüstungssturm gegen die Yerräter“ von Nürnberg zu entfesseln und das katholische Kirchenvolk vor den „Abtrünnigen“ zu warnen. Die Aktion von Nürnberg war durch den Schachzug Roms schon verpufft, ehe sie noch recht begonnen war.

Die „Altkatholiken“, wie sich die staatstreuen, romentfremdeten Katholiken nun nannten, waren dazu verurteilt, ein kleiner Kreis Verdächtiger und Verleumdeter zu bleiben.

Man muß sich bei diesen Kämpfen und der hierbei auftretenden ultramontanen Hetze immer vor Augen halten, daß Deutschland mit der Waffe um seine Existenz und seine Zukunft zu kämpfen hatte. Die Hetze trug Rom das ein, was es erstrebte: In den preußischen Landtagswahlen vom 9. bzw. vom 16. November 1870 wurden 60 ultramontane Abgeordnete gewählt, ein starker Keil war in das Herzland des werdenden Deutschen Reiches vorgetrieben!

Die ersten Verwicklungen ernsterer Natur wurden durch das Vorgehen des Kölner Erzbischofs hervorgerufen. Dieser Erzbischof wollte die Bonner Professoren der katholischen Theologie dazu zwingen, einen Unterwerfungsrevers unter die Unfehlbarkeitslehre zu unterschreiben. Bekanntlich sind Universitätsprofessoren Beamte, die im Eidverhältnis zum Staate stehen. Dieser Eid sollte auf Betreiben der Ultramontanen durch einen Spezialeid auf den Papst gebrochen werden! Einige Professoren weigerten sich, dieses doppelte Spiel mitzumachen und wurden daraufhin „a sacris suspendiert“, und kein katholischer Student durfte ihre Vorlesungen hören! Das bedeutete nichts anderes als Aechtung! Der Staat mußte sich selbstverständlich hinter die staatstreuen Professoren stellen und sich dagegen wehren, daß von Rom aus Versuche unternommen wurden, die treue Gefolgschaft auseinanderzusprengen.

Es war dem Staat auch beim besten Willen nicht zuzumuten, daß er auf der einen Seite die kostspieligen theologischen Fakultäten unterhielt und auf der anderen Seite sehen mußte, wie der Versuch unternommen wurde, diese Fakultäten zu Herden der Staatsfeindlichkeit zu machen.

Es lag auch nur im Interesse des Staates, die Altkatholiken, die doch gerade auch zum Teil aus Staatstreue die Oberherrschaft Roms ablehnten, gegen die Diffamierungsversuche in Schutz zu nehmen.

Die Ultramontanen waren aufs Höchste erbost, daß der preußische Staat ihnen nicht zu Willen war und die Altkatholiken nicht ausrottete, ja, daß sogar der Staat in gewissem Maß die neue Strömung unterstützte.

Es ist hier nicht der Ort, über die Geschichte des Altkatholizismus zu sprechen, nur soviel soll gesagt sein: dem Altkatholizismus fehlte die nötige Resonanz, weil er durch die Agitation Roms keinen Fuß im Volke fassen konnte und sich auf einen bestimmten Kreis „Gebildeter“ beschränken mußte.

Ein Mann wie Döllinger ist auch der sich später konstituierenden Altkatholischen Kirche nicht beigetreten und starb einsam im Kirchenbann. Eine schlagkräftige Organisation ist der Altkatholizismus nie geworden, weil er an dem zwangsläufigen inneren Kompromiß litt und kein Blut besaß. Darum hatte auch Bismarck keine tieferen Interessen an ihm.

Schon beim ersten Geplänkel zwischen Staat und Kirche erwies es sich, daß sich Rom in der jungen Zentrumspartei eine fanatische Gefolgschaft geschaffen hatte.

Man muß es dem Zentrum lassen: es hat stets verstanden, auf weite Sicht zu disponieren und seine Operationen geschickt und häufig unbemerkt durchzuführen.

Am 21. März 1871 waren die Wahlen zum ersten Deutschen Reichstag ausgeschrieben, und hier bot Rom alle Kräfte auf, um gleich im ersten Sturmlauf dem Staat zu zeigen, über welche Kräfte es verfügte, in der Hoffnung, der Staat würde sich durch das große Aufgebot von Abgeordneten zur Nachgiebigkeit gegen Rom zwingen lassen.

Die ersten Wahlen waren eine Prestigefrage, ob Rom im neuen Deutschland noch über erhebliche Aktivposten verfügte. Als Angreifer war Rom im Vorteil, denn es konnte sich geschickt tarnen und zielstrebige Propaganda treiben. Der Staat hatte die Stoßkraft Roms wesentlich unterschätzt. Vor allem aber ahnte das nichtkatholische Volk wenig von der heraufziehenden Gefahr und war infolge des weltanschaulichen Versagens der völlig indifferenten evangelischen Kirche gar nicht auf einen Kampf vorbereitet.

Geschickt hatte es das Zentrum verstanden, sein offizielles Programm ganz neutral zu gestalten. Dem Uneingeweihten kam damals das Programm harmlos vor, wenn er las:

Programm
der Fraktion des Zentrums
Justitia fundamentum regnorum

Die Zentrums-Fraktion des Deutschen Reichstages hat folgende Grundsätze für ihre Tätigkeit aufgestellt:

  1. Der Grundcharakter des Reiches als eines Bundesstaates soll gewahrt, demgemäß den Bestrebungen, welche auf eine Aenderung des föderativen Charakters der Reichsverfassung abzielen, entgegengewirkt und von der Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit der einzelnen Staaten in allen inneren Angelegenheiten nicht mehr geopfert werden, als das Interesse des Ganzen es unabweislich fordert.

  2. Das moralische und materielle Wohl aller Volksklassen ist nach Möglichkeit zu fördern. Für die bürgerliche und religiöse Freiheit aller Angehörigen des Reiches ist die verfassungsmäßige Feststellung von Garantien zu erstreben und insbesondere das Recht der Religionsgesellschaften gegen Eingriffe der Gesetzgebung zu schützen.

  3. Die Fraktion verhandelt und beschließt nach diesen Grundsätzen über alle in dem Reichstag zur Beratung kommenden Gegenstände, ohne daß übrigens den einzelnen Mitgliedern der Fraktion verwehrt wäre, im Reichstage ihre Stimme abweichend von dem Fraktionsbeschluß abzugeben.

Berlin, im Frühjahr 1871.

Der Vorstand der Fraktion des Zentrums:
v. Savigny. Dr. Windthorst (Meppen).
v. Mallinckrodt. Probst. Reichensperger (Olpe).
Karl Fürst zu Loewenstein-Freytag.

Es ist hier nicht der Ort, das Zentrumsprogram in auf seine Tarnung hin zu untersuchen. Es soll nur darauf hingewiesen werden, daß das Zentrum sich ausdrücklich von Anfang an für die Zerrissenheit Deutschlands eingesetzt hat. Es sah in dem Wirrwarr des Staatenbundes mit seinen vielfachen Einbruchsmöglichkeiten die beste Voraussetzung zur Politik des Gegeneinanderausspielens.

Der Versuch Bismarcks, ein starkes Norddeutschland zu schaffen und möglichst einen Anschluß oder gar ein Aufgehen aller deutschen Länder im geeinten Deutschland zu erreichen, wurde von Anfang an von Zentrumskreisen bekämpft. Bis in die jüngste Vergangenheit hat Rom die Führer für alle Separationsbestrebungen im Osten, Westen und Süden des Reiches gestellt.

Der angeblich monarchisch konservativen Zentrumspartei war es dabei gleichgültig, ob sie sich dazu der Hilfe eines katholischen Fürsten oder eines atheistischen Sozialisten bediente.

Rom war auch klug genug, nicht direkt einen Anschluß an ein außerdeutsches Land zu propagieren, sondern sich auf Schaffung sogenannter „freier“ Staaten zu beschränken.

Der sehr dehnbare Begriff der freien Religionsübung wurde benutzt, um die Möglichkeit zur Propaganda und Rebellion gegen den Staat zu schaffen. Rom hat es auch immer gut verstanden, in Streitfällen die alleinige Schuld dem Staat zuzuschieben.

Vor allem aber hat das Zentrum stets seine Politik unter der Zielsetzung getrieben, den deutschen Norden zu zerschlagen und ihn womöglich nach völliger Schwächung seelisch nach Rom zurückzuführen.

Der Bischof von Ketteler hat zwar in seiner Schrift „Die Zentrumsfraktion auf dem ersten deutschen Reichstag“ (2. Auflage, Mainz 1872) rundweg abgestritten, daß die Zentrumspartei ausgesprochen katholische Ziele verfolge. Er hat aber nicht vermocht, den Gegenbeweis anzutreten. Der Niederbruch Deutschlands im Versailler Diktat von 1919 ist ein so übles Kapitel römischen Vernichtungswillens, daß es der zahlreichen aktenmäßigen Belege unvorsichtiger Gefühlsausbrüche klerikaler Amtsträger gar nicht mehr bedurfte. Fast sechzig Jahre hat das Zentrum als Avantgarde des Vatikans mit allen Mitteln darum gekämpft, Deutschland zu einer katholischen Domäne zu machen.

Von Anfang an verstand es das Zentrum, sich zum Haupt aller Staatsfeinde und Unzufriedenen zu machen.

Vom ersten Tag des Bestehens des Zentrums war die „Germania“ sein offizielles Organ, das mit anmaßenden und hetzerischen Aeußerungen sich gegen die Bismarcksche Staatsführung auflehnte.

Als Bismarck in Versailles 1871 für ein Deutsches Reich kämpfte, versuchten bis zum letzten Augenblick die Klerikalen und preußenfeindlichen Kreise unter Anwendung aller erdenklichen Mittel die Kaiserwahl zu sabotieren oder doch wenigstens die Macht des Kaisers auf ein Minimum herabzudrücken. Leider fand Bismarck bei dem gutmütigen und harmlosen Kaiser Wilhelm I. nicht die erwünschte Unterstützung. Der Kaiser glaubte, daß sich die Gegensätze mit der Zeit verwischen würden und hatte kein Verständnis dafür, daß gerade die Zeit Roms beste Waffe ist. Die Harmlosigkeit Wilhelms in den Fragen der römischen Angriffstaktik hat nach fast fünfzigjährigem Bestehen des Kaiserreiches zur Beseitigung des protestantischen Herrscherhauses geführt. Das Schicksal der Hohenzollern sollte jeden nicht romgebundenen Regierenden zur größten Vorsicht und zu gespanntester Aufmerksamkeit zwingen, denn auch schon ein Kompromiß mit Rom ist für einen nichtkatholischen Staat verhängnisvoll.

Bismarck war keinen Augenblick im Unklaren, daß das Zentrum der Vortrupp der katholischen Aktion war.

Wie das Zentrum seine politische Mission auffaßte, geht aus der „Adresse katholischer Abgeordneter an Kaiser Wilhelm in Versailles um Wiederherstellung des Kirchenstaates und der weltlichen Souveränität des Papstes“ hervor. In dieser Adresse vom 18. 2. 1871 heißt es:

„Allergnädigster Herr. Für das Papsttum gibt ei keine andre Unabhängigkeit als die Souveränität. Nur in ihr ist seine Würde vollkommen gesichert. Ein entthronter Papst ist immer ein gefangener oder verbannter Papst. Was keiner Macht gleichgültig sein kann, müßte folgen. Die Gewissensfreiheit der Katholiken, von der souveränen Freiheit des Papstes zuletzt getragen, wäre geknechtet, mit der tödlichen Verletzung ihres Rechtes jede Autorität in ihren Grundfesten erschüttert. … Möge der neue Friedenstag die notwendige Aufrichtung der weltlichen Herrschaft des römischen Stuhles bringen…

Hier spielte Rom schon in sehr unverhüllter Form seinen Haupttrumpf aus-. die Verhetzung des katholischgläubigen Volksteils und damit die Unterminierung des Reiches. Auf alle Fälle verlangte das Zentrum nichts mehr und nichts weniger, als daß das neuerrichtete Deutsche Reich sich notfalls mit der Waffe für die Wiederherstellung des Kirchenstaates einsetzen sollte! Man muß hierbei bedenken, daß Italien, mit dem das Reich hätte Krieg beginnen müssen, immerhin der Verbündete Preußens war!

Hier schon beginnt die offene Kriegshetze der ultramontanen Kreise, für die das Blut deutscher Soldaten gerade gut genug ist, um irgendwelche Ziele, die außerhalb des deutschen Gesichtswinkels liegen, zu erreichen. Man war auf römischer Seite unverfroren genug, den Kaiser wählen zu lassen zwischen der Ausführung der Befehle Roms oder zwischen der Möglichkeit, von den Katholiken in Deutschland als Oberhaupt der Deutschen abgelehnt und bekämpft zu werden!

Ein Regent, der etwas selbstbewußter und energischer gewesen wäre als Wilhelm I., hätte hier schon mit allen Mitteln durchgreifen und den ultramontanen Zersetzungskeim ausrotten müssen.

Bismarck führt im 2. Band seiner Erinnerungen aus, daß eine Parteinahme der deutschen Regierung für den Papst die nationalen Kreise Italiens naturgemäß verstimmt hätte und hält es selbstverständlich für mehr als zweifelhaft, ob der Papst als Dank für das Eintreten Deutschlands nun seinerseits die durch das Zentrum verursachten innerpolitischen Spannungen im Reich beseitigt hätte.

Vor allem sah Bismarck die Gefahr und die Schande, die darin liegen mußten, den römischen Interessen Vorschub und Vorspann zu leisten.

Im 2. Band seiner Erinnerungen sagt er:

„Ich bin in konfessioneller Beziehung jederzeit tolerant gewesen bis zu den Grenzen, die die Notwendigkeit des Zusammenlebens verschiedener Bekenntnisse in demselben staatlichen Organismus den Ansprüchen eines jeden Sonderglaubens zieht. Die therapeutische Behandlung der katholischen Kirche in einem weltlichen Staat ist aber dadurch erschwert, daß die katholische Geistlichkeit, wenn sie ihren theologischen Beruf voll erfüllen will, über das kirchliche Gebiet hinaus den Anspruch auf Beteiligung an weltlicher Herrschaft zu erheben hat, unter kirchlichen Formen eine politische Institution ist, und auf ihre Mitarbeiter die eigene Ueberzeugung überträgt, daß ihre Freiheit in ihrer Herrschaft besteht, daß die Kirche Überall, wo sie nicht herrscht, berechtigt ist, über dioklettanische Verfolgung zu klagen…

Diese Abgrenzung zwischen der angeblich staatsfreundlichen, im übrigen aber machthangrigen Kirche und dem verantwortungsbewußten Staat ist unübertrefflich.

Als Bismarck es ablehnte, sich vor den römischen Wagen spannen zu lassen und gegen Italien mit kriegerischen Repressalien zugunsten des Papstes vorzugehen, war für Rom praktisch schon der Kriegszustand mit Deutschland gegeben.

Der Versuch der Ultramontanen, durch Aufpeitschung scheinrellgiöser Instinkte Bayern womöglich zur Auflehnung gegen das Reich zu bringen, scheiterte an der Staatstreue der Bayern. Hier erstand sogar eine bewundernswürdig starke deutsche Front, die ihren Rückhalt einmal an König Ludwig II., dann aber auch vornehmlich an dem bayerischen Kultusminister von Lutz hatte. München, einst von Jesuiten das „Deutsche Rorn“ genannt, wurde zum Sammelpunkt der staatstreuen Katholiken. Man berief Döllinger an die dortige Universität als Rektor und tat überhaupt alles, den ultramontanen Vormarsch zu verhindern. Es versteht sich aber von selbst, daß im katholischen Bayern sich sofort, aufgestachelt von Rom, eine staatsfeindliche Fronde bildete, die der bayerischen Regierung viel zu schaffen machte.

Die Wühlereien der Ultramontanen im ganzen Reich und besonders in Preußen nahmen von Tag zu Tag zu, und im gleichen Maße wurde der Ton, den Rom anschlug, überheblicher. So sah sich Preußen genötigt, am 8. Juli 1871 die katholische Abteilung im Kultusministerium aufzuheben, um wenigstens zu verhindern, daß innerhalb der Regierung die Wühlereien in Sabotage- und Spionagehandlungen ausarteten.

Ein Hauptgrund Bismarcks, die katholische Abteilung aufzuheben, war, daß sich von hier aus, also von einer amtlichen Regierungsstelle, eine lebhafte katholische Agitation in dem Polnisch sprechenden Teil der ostdeutschen Bevölkerung entwickelte. Im Kultusministerium war sogar eine ausgesprochen polnisch eingestellte katholische Zentrale entstanden, die zielbewußt im deutschfeindlichen Sinne arbeitete und sich gar keine Mühe mehr gab, sich konfessionell zu tarnen.

Bismarck dachte staatspolitisch, als er sich gegen die katholische Propaganda im Osten wandte.

Lehrreich ist seine prinzipielle Einstellung zu den polnischen Autonomiebestrebungen seiner Zeit.

Er schrieb bereits im Jahre 1848:

Man kann Polen in seinen Grenzen von 1772 wieder herstellen wollen (wie die Polen selbst es hoffen, wenn sie auch noch verschweigen), ihm ganz Posen, Westpreußen, Ermland wiedergeben; dann werden Preußens beste Sehnen durchschnitten, Millionen Deutscher der polnischen Willkür überantwortet sein…“

In letzter Zeit hatte die Hetze solche Formen angenommen, daß mit einem polnischen Aufstand zu rechnen war. Bismarck hatte zuvor alles versucht, eine Aenderung der kulturpolitischen Verhältnisse im Osten zu erreichen, er hatte dem Bischof v. Ketteler das Erzbistum Posen angeboten, um eine staatliche Aufsicht ausüben zu können. v. Ketteler lag nichts an der Befriedung im Osten, er lehnte das Angebot Bismarcks mit der Begründung ab, er sei der polnischen Sprache nicht mächtig!

Der Verdacht liegt nahe, daß v. Ketteler oder ein anderer dem Staat genehmer Bischof von Rom gar nicht in Posen erwünscht war, denn Rom hatte Interesse an der Erhaltung der deutsch-polnischen Gegensätze, was besonders daraus hervorging, daß der katholische Hetzer Schaffranek von den Ultramontanen verhätschelt wurde. Schaffranek, einer der fanatischsten Deutschenhasser, den die Welt gesehen hat, reiste im Osten umher und agitierte unter Anrufung des Himmels und aller Heiligen mit größtem Erfolg. Das Anschwellen der „polnischen“ Elemente im Osten war fast ausschließlich seiner Propaganda zuzuschreiben. Sein Hauptargument war die Behauptung der Unverschmelzbarkeit deutschen und polnischen Wesens. Hier wandte sich Schaffranek also besonders an die heute von Rom so sehr verpönten rassischen Instinkte! Und er hatte, wie die Regierung sehr bald merken mußte, Erfolg!

Die katholische Abteilung im Kultusministerium baute die von Schaffranek gewonnenen Stellungen im Osten sehr rasch und zielbewußt durch Statistiken, „Minderheitenlehrer“ und Mittel aus. Der Staat mußte hier seine eigenen Totengräber bezahlen!

Aus Gründen der Loyalität wurde offiziell auch die evangelische Abteilung aufgelöst und beide Abteilungen in einer neuen „Abteilung für geistliche Angelegenheiten“ zusammengefaßt.

Bismarck schreibt in seinem Band II der Erinnerungen ausdrücklich, daß er durch die polnische, nicht die katholische Seite des gegen den Staat geführten Kampfes zur Auflösung sich gezwungen sah.

Rom hatte natürlich nichts Eiligeres zu tun, als von einer Unterdrückung des Glaubens zu sprechen und die „Kulturwelt“ zum Kampf gegen deutsche Barbarei aufzurufen.

Man sieht: die Worte Roms ändern sich wohl, nie aber die Idee, die zum Kampf um die Weltherrschaft treibt.

Bismarck sah in dem Leiter der bisherigen katholischen Abteilung, Krätzig, einen Privatangestellten der Radziwillschen Familie, die glaubte, im Osten im Trüben fischen zu dürfen. Die Gründe, die Bismarck veranlaßten, in Krätzig einen bezahlten Agenten zu sehen, stießen zwar auf den Widerspruch der Radziwills, konnten aber auch nicht widerlegt werden.

Die Situation im Osten spitzte sich zu, als der Bischof von Ermland, wo besonders der Kampf zwischen Deutschtum und Slaventum ausgefochten wurde, kurzerhand den katholischen Religionslehrer Wollmann, der sich weigerte, die Unfehlbarkeit des Papstes zu lehren, exkommunizierte und ihm die Ausübung des Unterrichts verbot.

Da das katholische Seminar in Braunsberg von staatlichen Mitteln erhalten wurde und Wollmann preußischer Beamter war, legte der Staat sein Veto ein, denn er war bei der Absetzung nicht gefragt worden. Der Bischof erklärte dagegen, Wollmann habe sich als Katholik an die Vorschriften der Kirche zu halten.

Der Staat stellte sich nun auf den Standpunkt, daß Wollmann nichts anderes gelehrt hätte, als er vor dem 18. Juli 1870 schon lehrte. Eine spätere Aenderung der katholischen Lehre können der Staat nicht anerkennen!

Aus diesem Beispiel geht besonders klar hervor, in welche Zwangslagen Beamte und Staat kommen, wenn zwei Autoritäten sich widersprechende Befehle und Anweisungen herausgeben. Der totale Anspruch des Staates wird immer von der Kirche sabotiert werden, denn gerade vom Zwiespalt zwischen Staat und Kirche lebt die Kirche meist besonders gut!

Die an sich noch harmlose Affäre des Religionslehrers Wollmann in Braunsberg – es hatten sich inzwischen ja ganz andere Dinge ereignet – wurde von den Ultramontanen in ungeheuerlichem Maße aufgebauscht. Man wollte eben den Kampf!

Und zwar wollte man den schon ausgebrochenen Machtkampf rechtzeitig auf das religiöse Gebiet ablenken, um des katholischen Volksteils um so sicherer zu sein. Am 7. 9. 1871 erfolgte eine „lmmediatvorstellung der preußischen Bischöfean den Kaiser.

Nach einigern Hin und Her erwiderte der preußische Kultusminister Mühler darauf in einem Schreiben vom 25. 11. 1871 an den Erzbischof von Köln:

„… Der Staat ist weder verpflichtet noch berechtigt, die Anhänger der alten Lehre in ihrem Verhältnis zum Staat als Abtrünnige zu behandeln. Sie sind ihres Anspruchs auf den Schutz des Staates nicht dadurch verlustig geworden, daß die Kirche den Inhalt ihrer Lehre verändert hat, und dieser Schutz wird ihnen nach wie vor gewährt…

Noch einmal hat es der Staat abgelehnt, sich in die innerkirchlichen Angelegenheiten zu mischen, vor allem aber hat er sich dagegen verwahrt, Handlanger bei der Bestrafung Rom unangenehmer Katholiken zu sein.

Die Hetze, die von der Kanzel herab getrieben wurde, nahm jetzt besonders in Bayern solche Formen an, daß die öffentliche Sicherheit bedroht wurde. Ueberall demonstrierte das aufgehetzte Kirchenvolk gegen den Staat, und Rom verstand es meisterhaft, die Märtyrerinstinkte der christlichen Volksteile auf den Höhepunkt zu treiben.

Rom glaubte siegen zu können, wenn es den Zweifrontenkrieg im Osten und im Süden energisch und zielbewußt vortreiben würde.

Im Westen war es bisher noch nicht zum Kampf, sondern nur zum passiven Widerstand gekommen, aber auch hier konnte jeder Tag den Angriffsbefehl bringen.

Das Reich war in seiner Einheit auf das Schwerste bedroht, denn Rom konnte die Massen zur Revolution treiben.

In höchster Gefahr wurde von der bayerischen Regierung der sogenannte spätere „Kanzelparagraph“ vorbereitet und weitergeleitet.

Am 16. 11. 1871 wurde die Novelle in der Plenarsitzung des Bundesrates eingereicht. Bismarck unterstützte selbstverständlich den Vorstoß Bayerns.

Der Gesetzentwurf lautete folgendermaßen:

„Hinter § 130 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich wird folgender neuer § 130 a eingestellt: „Ein Geistlicher oder anderer Religionsdiener, welcher in Ausübung oder Veranlassung der Ausübung seines Berufes öffentlich vor einer Menschenmenge oder welcher in einer Kirche oder einem andern zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte mehrere Angelegenheiten des Staates in einer Weise, welche den öffentlichen Frieden zu stören geeignet erscheint, zum Gegenstand einer Verkündung oder Erörterung macht, wird mit Gefängnis bis zu 2 Jahren bestraft.“

Am 28. 11. 1871 wurde dieser Kanzelparagraph vom Reichstag unter Hinzufügung „oder Festung“ mit großer Mehrheit angenommen.

Bezeichnenderweise war das katholisch regierte Sachsen und die beiden lutherischen Mecklenburg gegen den Paragraphen.

,Rom lief Sturm gegen den Kanzelparagraphen der wie jedem ersichtlich, ausschließlich eine Abwehrtat des Staates gegen konfessionelle Uebergriffe darstellte. Auch in der evangelischen Kirche begannen sich Stimmen zu regen, die von „Unterdrückung der Freiheit“ sprachen und es nicht einsehen wollten, daß man Konfessionen auf das Gebiet der Seelsorge beschränken kann!

In der katholischen Geistlichkeit herrschte allgemeines Martyriumsverlangen.

Leider fand Bismarck bei seinem bisherigen Kultusminister v. Mühler nicht den gewünschten Beistand. Das hatte seinen Grund darin, daß Mühler Rücksicht auf seine katholische Frau zu nehmen hatte! Mühler hatte sich schon gegen die Abschaffung der katholischen Abteilung gesträubt und trieb ein nicht immer durchsichtiges Spiel.

Bismarck sagt im 2. Band seiner Erinnerungen:

„In der Tat fiel Mühler über Krätzig und den Polonismus, trotz des Rückhalts, den er und seine Frau durch Damenverbindungen am Hofe hatten.“

Diese Damenverbindungen, die bei Kaiser Wilhelm I. gegen Bismarck intrigierten, haben dem Kanzler sein Leben hindurch aufs Schwerste zu schaffen gemacht. Ein Beweis, wie geschickt Rom anzugreifen versteht und wie es vor keinem Mittel zurückschreckt!

Uebrigens bestreiten es die ultramontanen Kreise bis auf den heutigen Tag selbstverständlich, daß irgendwelche Damenverbindungen gegen Bismarck bei Hofe bestanden haben! Es ist auch gar zu beschämend, wenn einer „religiösen“ Partei derartige Methoden nachgewiesen werden. Am 17. Januar wurde Mühler endlich auf seinen Antrag hin aus seinem Dienst als Kultusminister entlassen und durch den wesentlich energischeren und zuverlässigeren Adalbert Falk ersetzt. Den letzten Anstoß zur Beseitigung Mühlers gab der Entwurf des neuen Schulaufsichtsgesetzes. Hierbei versagte Mühler völlig.

Am 30. Januar 1872 wurden zwei programmatische Reden im Reichstag gehalten, die eine von dem neuen Kultusminister Falk, die andere von Bismarck. Es ist interessant, einen Einblick in die durchaus vornehme Denkungsart Falks zu tun, auf den sich der ganze Haß der Ultramontanen gehäuft hat.

Falk führte unter anderem aus:

„… Ich werde mich leiten lassen von dem Satz, daß die Kirchen und die Kirchengemeinschaften ihre Freiheit und ihre volle Bewegung behalten, ich werde ihnen da nie hemmend in den Weg treten.

Aber, meine Herren, wenn Rechte des Staates in Frage sind und Rechte, die der Staat schützen muß gegen jeden und auch gegen die Kircbengemeinschaften, da werden Sie mich allerdings als Juristen sehen, ich werde alle unberechtigten Anspräche völlig zurückweisen…“

Auch hier klingt immer wieder die Mahnung zum Frieden durch.

Man kann es nicht oft genug betonen, daß der Staat angegriffen wurde, und daß in diesem Verteidigungskampf der Staat von einer fast unverzeihlichen Großmütigkeit beseelt war.

Bismarck griff in seiner Rede mit knappen Worten die angebliche Religiosität der Zentrumspartei an, die ausgerechnet an ihre Spitze den als Preußenfresser bekannten Windthorst stellte, der nachdrücklichst betont hatte, er sei überzeugter Hannoveraner und würde es dem räuberischen Preußen nie verzeihen, daß es sich Hannover einverleibt hätte. An dieser Stelle sei nur kurz auf die separatistischen Umtriebe gewisser hannoverscher Kreise nach dem Weltkrieg hingewiesen.

Der Preußenhaß jener verhetzten Kreise ist das unumstrittene Verdienst römischer Wühlmäuse. Bekanntlich war Hannover früher eine Domäne Englands, und es lag im Sinne Roms, diese englische Oberaufsicht in Hannover als Druckmittel gegen Preußen-Deutschland zu gebrauchen! Ein englisch geleitetes Hannover wäre immer die Hand an der Gurgel des Reiches gewesen!

Der Preußenhaß wurde soweit geschürt, daß hannoversche Patrioten“ katholisch wurden, um ihrem Haß auch die letzten Hemmungen zu nehmen. Am 9. 2. 1872 wurde das von Falk nun meisterhaft ausgebaute Schulaufsichtsgesetz im Reichstag verhandelt.

Der Staat in der Verteidigung

Reichensperger, der Römling, nannte die Ankündigung des Schulaufsichtsgesetzes ein Sturmsignal!

Dabei war die Verteidigungsmaßnahme weiß Gott kein „Sturm“, sie bestand vielmehr darin, daß der Staat der staatsfeindlichen Kirche die Schulaufsicht wegnehmen und die Brutstätte des römischen Wühlens, den Jesuitenorden, aufheben wollte!

Zu gleicher Zeit dachte Bismarck daran, die evangelische Kirche durch Schaffung einer Reichssynode und durch reichere Dotierung zu unterstützen.

Rom schrie auf!

Die Ultramontanen unter Führung Windthorsts und Reichenspergers griffen in maßloser Form den Kanzler an. Man bot alle Mittel auf, die Schulaufsicht und damit die Einwirkung Roms auf Kinder und Eltern in der Hand zu behalten.

Daß Bismarck und sein Minister ausschließlich völkische Gesichtspunkte mit ihrem neuen Gesetz verfechten wollten, geht daraus hervor, daß vornehmlich die Schulen in den völkisch bedrohten Ostprovinzen aus den Fingern Roms genommen werden sollten.

Falk führte an jenem denkwürdigen 9. Februar unter anderem aus:

„… Wir haben die Notwendigkeit, von Staats wegen in denienigen Gebieten, in welchen die Bevölkerung die deutsche Sprache nicht als Muttersprache spricht, die Kinder in dieser Sprache zu unterrichten...

Der Staat will diejenigen Gründe wegschaffen, die geeignet sind, … Konflikte hervorzurufen…

Bismarck sagte:

„… Die Beschwerde, die wir gegen die geistlichen Schulinspektionen in den Provinzen haben, wo das Polnische geredet wird, ist die, daß sie die ,deutsche Sprache nicht zu ihrem gesetzlichen Recht kommen lassen‘ sondern dahin wirken, daß die deutsche Sprache vernachlässigt und nicht gelehrt werde; daß der Lehrer, dessen Schulkinder Fortschritte in der deutschen Sprache gemacht haben, von seinem Geistlichen keine günstige Zensur bekommt…

Rom hat zu jeder Zeit für die geistliche Schulaufsicht gekämpft und hat sogar im marxistischen Staat weitgehende Zugeständnisse in der Erziehungsfrage erhandelt. Bevor nicht eine völlige Ausschaltung der Kirche in allen Fragen der Schulerziehung erreicht ist, wird auch nicht die Gefahr verschwinden, daß in die junge Seele des Kindes der Zweifel an der Gültigkeit der Gesetze von Volk und Staat gepflanzt wird. Die Staatsjugend muß davor bewahrt werden, daß eine überstaatliche Macht ihr einredet, Nation und Staat seien Dinge untergeordneten Ranges. Gerade in der Erziehungsfrage hat Rom bisher mit größtem Erfolg verstanden, Keile in die Volkseinheit zu schieben. Von der richtigen Jugenderziehung wird es künftig abhängen, ob unserem Volk das totale Staatsdenken eingeimpft werden kann oder ob weite Teile des Volkes auch in Zukunft noch ihr Reservat gegen Nation und Staat aus „religiösen“ Gründen pflegen dürfen.

Der Entwurf des Schulaufsichtsgesetzes ging durch mit den Aenderungen, daß die Zwangspflicht für geistliche Schulinspektion fortfiel und ausdrücklich die politische Gemeinde das ihr zustehende Recht der Mitbeaufsichtigung der Schule auszuüben hatte. Obwohl Rom den Kampf schon zu sehr heftigen Formen getrieben hatte, versuchte Bismarck von neuem, eine Beruhigung herbeizuführen. Er schlug über den deutschen Geschäftsträger beim Vatikan, V. Derenthall, vor, den deutschen Kardinal Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst zum Botschafter beim Heiligen Stuhie zu ernennen.

Damit wäre insofern eine Milderung des Kampfes eingetreten, als Hohenlohe auf der einen Seite das Vertrauen Bismarchs besaß. auf der andern Seite aber als Kardinal für die Unfehlbarkeit gestimmt hatte. Der Papst hätte den deutschen Kardinal ohne jeden Einwand bestätigen oder in ihm einen Mittler zur deutschen Regierung haben können, wenn er nur gewollt hätte! Aber er wollte eben den Kampf in Deutschland, der ja im wesentlichen eine Machtprobe Roms und eine Gefährdung des jungen Reiches war, fortführen.

Ein weiterer Grund, warum der Papst den Kardinal Hohenlohe ablehnte, ist sicher in der Tatsache zu suchen, daß Hohenlohe ein bekannter Feind des Jesuitentums war. Die Jesuiten aber waren im Kampf gegen Deutschland Roms beste Sturmtruppen, und die wollte der Papst sicher nicht verärgern!

Später wurde Kardinal Hohenlohe bekanntlich von Jesuiten vergiftet!

Rom hatte wieder sein wahres Gesicht gezeigt und seinen Vernichtungswillen offenbart.

Es kam über den Fall Hohenlohe im Reichstag am 14. Mai 1872 zu erregten Debatten. Hier prägte Bismarck sein bekanntes deutsches Wort:

Seien Sie außer Sorge, nach Canossa gehen wir nicht. Weder körperlich noch geistig!“

Nach dieser Reichstagssitzung trat Bismarck seinen Urlaub an. In dieser Zeit des Urlaubs wurde das Jesuitengesetz eingebracht. – Bekanntlich haben die Jesuiten den Hauptanteil an der sogenannten „Gegenreformation“ in Deutschland gehabt. Zielbewußt stießen sie in jede Bresche, die sie im deutschen Volksköper und in der deutschen Seele entdeckten, vor. Sie bedienten sich aller Zeitströmungen, ob sie nun aufklärerisch oder romantisch, idealistisch oder materialistisch waren, um ihre „Bekehrungen“ vorzunehmen.

Die Versuche der Jesuiten waren von um so größerem Erfolge gekrönt, als im Kampf den Jesuiten jedes Mittel der Belohnung oder Strafe recht war. Die völkischen und noch im echten Sinne des Wortes protestantischen Kreise in Deutschland hatten die Ziele der Jesuiten längst durchschaut und erhoben immer wieder von neuem ihre warnende Stimme. Der auf das jesuitische Drängen hin erhobene Machtanspruch des Papstes in der Unfehlbarkeitsfrage hatte auch den gleichgültigeren Kreisen in Deutschland endlich Augen und Ohren geöffnet, so daß durch das ganze deutsche Volk der Ruf nach Vertreibung der Jesuiten ging.

Am 17. Mai wurde nach dritter Lesung mit 181 : 93 Stimmen der Gesetzentwurf angenommen, der den Jesuitenorden für das Gebiet des deutschen Reichs verbot.

§ 1. Der Orden der Gesellschaft Jesu und die ihm verwandten Orden und ordensähnlicben Kongregationen sind vom Gebiete des Deutschen Reiches ausgeschlossen. Die Errichtung von Niederlassungen derselben ist verboten. Die zur Zeit bestehenden Niederlassungen sind binnen einer vom Bundesrat zu bestimmenden Frist, die jedoch sechs Monate nicht übersteigen darf, aufzulösen.

§ 2. Die Angehörigen des Ordens der Gesellschaft Jesu oder der ihm verwandten Orden oder ordensähnlichen Kongregationen können, wenn sie Ausländer sind, aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden; wenn sie Inländer sind, kann ihnen der Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Orten versagt oder angewiesen werden.

§ 3. Die zur Ausführung und Sicherstellung des Vollzuges dieses Gesetzes erforderlichen Anordnungen werden vom Bundesrat erlassen.

Bekanntlich wurde auf Betreiben Roms, das unbegreiflicherweise von dem letzten deutschen Kaiser um Vermittlung im Weltkrieg angegangen wurde, im Jahre 1917 der Jesuitenorden für Deutschland wieder zugelassen. Das hat sich bitter gerächt, denn sofort begannen die Jesuiten mit allen Mitteln die Gegenreformation wieder aufzunehmen. In der Politik haben sie den Einfluß, den sie in der Schule und in der Siedlung besaßen, sehr bald wieder gewonnen.

Am 29. Mai 1872 wurde der renitente katholische Feldprobst Bischof Namszanowski, der den altkatholischen Soldaten die Mitbenutzung der Kölner Garnisonkirche St. Pantaleon verweigerte und den Befehl des Kriegsministers von Roon zur Freigabe der Kirche nicht befolgte, abgesetzt. Fast ein Jahr später wurde die katholische Feldprobstei dann aufgehoben!

Rom benutzte diesen Vorfall zu ungeheuerlichen Beschimpfungen Bismarcks und des nicht romhörigen Deutschland. Man versuchte, das katholische Kirchenvolk zum bewaffneten Aufstand zu reizen. Die Katholiken in Deutschland standen allerdings noch zu sehr unter dem überwältigenden Eindruck der Reichsgründung zu Versailles, als daß sie geschlossen der römischen Aufforderung Folge geleistet hätten. Lediglich in Essen floß anläßlich der Jesuitenaustreibung Blut.

In seiner Wut ließ sich der Papst zu Aeußerungen hinreißen, er habe Bismarck wissen lassen, daß ein Triumph, der sich in einen Kampf gegen die Wahrheit und gegen die Kirche einließe, der größte Wahnsinn sei, und daß man nicht wisse, ob nicht bald sich das Steinchen von der Höhe löse, welches den Fuß des Kolosses zertrümmere!

Hier spricht der Papst offen von der Vernichtung Deutschlands!

Und von dieser Voraussetzung her ist der Triumph Roms am 9. November 1918 zu verstehen!

Auch der Fall des Religionslehrer Dr. Wollmann in Braunsberg wurde jetzt wieder aufgerührt. Der Bischof von Ermland weigerte sich nach wie vor, Wollmann als Glied der Kirche anzuerkennen und ihn lehren zu lassen.

Der Staat verhandelte anfangs, konnte aber naturgemäß mit Rom keine Einigung darüber erzielen, wo die Grenzen zwischen Nation und Kirche in der Praxis gezogen werden dürften.

Schließlich tat der Staat das beste, was er tun konnte, er entzog dein ermländischen Bischof die finanzielle Unterstützung.

Das gab nun Rom erneut Wasser auf die Mühle, von der „Unterdrückung der Kirche“ zu sprechen.

Die inzwischen wieder einmal in Fulda versammelten deutschen Bischöfe erließen eine Denkschrift, in der sie ausführten, daß ihnen letztinstanzlich die Kurie und nicht der Staat maßgebend wäre. Der Staat gab es auf, -sich mit den kleinlichen Fragen des Religionsunterrichtes ir Braunsberg oder den Eingaben von Leuten wie Mallinckrodt, der auf Grund der Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850, Art. 4, nachweisen wollte, daß die Aufhebung des Jesuitenordens ungesetzmäßig sei, noch länger herumzustreiten. Das Abgeordnetenhaus ging über solche. Verschleppungsversuche einfach zur Tagesordnung über. Im Spätsommer der Jahres 1872 wurden im Kultusministerium die ersten Entwürfe der Gesetzesvorlagen geschaffen, die im Jahre 1873 herausgebracht wurden und dem Staat die Ansprüche auf die geistige Gestaltung der Nation sichern sollten.

Allein schon die Aussicht auf irgendwelche Ansprüche des Staates auf geistigem und kulturellem Gebiete machte die Ultrarnontanen erheblich nervös, und sie versuchten, durch Unruhestiften den Staat von seinem Kurs abzulenken. Es war daher im Interesse der Staatsraison unbedingt nötig, eine Zusammenfassung aller staatserhaltenden Kräfte herbeizuf ühren.

Am 1. Januar 1873 nahm daher der Kriegsminister von Roon die Leitung des gesamten Ministeriums in die Hand. Falk blieb in seiner Funktion als Kultusminister weiterhin das ausführende Organ der Regierung.

Am 9. Januar wurden die Gesetzentwürfe vorgelegt und zwar:

1. Der Entwurf eines Gesetzes über die Grenzen des Rechtes zum Gebrauch kirchlicher Straf- und Zuchtmittel.

2. Der Entwurf eines Gesetzes über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen.

3. Der Entwurf eines Gesetzes über die kirchliche Disziplinargewalt und die Errichtung des königlichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten.

4. Zugleich auch im Namen des Justizministers der Entwurf eines Gesetzes betreffend den Austritt aus der Kirche.

Hier entwickelte der Staat programmatische Gedanken, die dazu angetan waren, die Autorität Roms aufs schwerste zu erschüttern. Denn es ging nun ernsthaft um die Zuständigkeit der Kirche in den Fragen des öffentlichen und privaten Lebens. Die Ausführungen, die Falk zu diesen Entwürfen machte, ließen ebenfalls an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

Die Nervosität in den Kreisen des Zentrums wurde jetzt so groß, daß ernsthaft der Gedanke erwogen wurde, einen parlamentarischen Streik zu beginnen und die Sitzungen des Parlaments zu boykottieren. Nur mit Mühe konnte Windthorst seine Fraktionskollegen von diesem Beginnen, das vielleicht zum Untergang des Zentrums geführt hätte, abbringen.

Am 15. Januar 1873 wurde entgegen den Anträgen des Zentrums die Nichtabsetzung der Gesetzesvorlage beschlossen.

Am 30. Januar erließen die Bischöfe eine Adresse an den Kaiser, in der sie ihn aufforderten, die Beratung der Gesetze zu verhindern, da ein gläubiger Katholik diese Gesetze weder anerkennen noch befolgen könne und würde.

Nach dieser erneuten Kampfansage und Gehorsamsverweigerung seitens der Ultramontanen wurde von der Regierung zunächst der Beschluß gefaßt, die Artikel 15 und 18 der Verfassung zu ändern und zu ergänzen. Die endgültige Veröffentlichung der abgeänderten Verfassung erfolgte am 5. April 1873. Der neue Wortlaut der betreffenden Artikel ist folgender (die neuen Stellen sind gesperrt):

Artikel 15.

Die evangelische und die römisch-katholische Kirche sowie jede andere Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt aber den Staatsgesetzen und der gesetzlich geordneten Aufsicht des Staates unterworfen.

Mit der gleichen Maßgabe bleibt jede Religionsgesellschaft im Besitz und Genuß der für ihre Kulturs-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds.

Artikel 18.

Das Ernennungs-, Vorschlags-, Wahl- und Betätigungsrecbt bei Besetzung kirchlicher Stellen ist, soweit es dem Staat zusteht und nicht auf dem Patronat oder besonderen Rechtstiteln beruht, aufgehoben.

Auf Anstellung von Geistlichen beim Militär und an öffentlichen Anstalten findet diese Bestimmung keine Anwendung.

Im Übrigen regelt das Gesetz die Befugnisse des Staates hinsichtlich der Vorbildung, Anstellung und Entlassune der Geistlichen und Religionsdiener und stellt die Grenzen der kirchlichen Disziplinargewalt fest.

Rom hetzte nun seine Boten und Diener zum offenen Angriff gegen den Staat auf.

Am 23. Februar schon erließ der Erzbischof von Posen, Graf Ledochowski, in einem Rundschreiben an die Religionslehrer seiner Diözese den Befehl, den Verfügungen der Regierung zum Trotz den Unterricht weiter in polnischer Sprache zu erteilen! Es lag im Interesse der römischen Propaganda, den Staat zu einem Verbot des Religionsunterrichtes zu zwingen, um dann mit sittlichem Abscheu vom deutschen Heidentum und der Verfolgung der Religion zu sprechen.

Wie klar Bismarck die Situation erkannte, geht aus seiner bekannten Rede im Herrenhaus, die er am 10. März 1873 hielt, hervor.

In dieser Rede sagte er:

Das Papsttum ist jederzeit eine politische Macht gewesen, die mit der größten Entschiedenheit und mit dem größten Erfolge in die Verhältnisse der Welt eingegriffen hat. Das Ziel, welches der päpstlichen Gewalt ununterbrochen vorschwebte, ist die Unterwerfung der weltlichen Gewalt unter die geistlicheDer Kampf des Priestertums mit dem Königtum, der Kampf in diesem Falle des Papstes mit dem Deutschen Kaiser ist zu beurteilen wie jeder andere Kampf: er hat seine Bündnisse, seine Friedensschlüsse, seine Haltepunkte, seine Wallenstillstände. Er unterliegt denselben Bedingungen wie jeder andere politische Kampf, und es ist eine Verschiebung der Frage, die auf den Eindruck auf urteilslose Leute berechnet ist, wenn man sie darstellt, als ob es sich um Bedrückung der Kirche handelte. Es handelt sich um die Verteidigung des Staates, um die Abgrenzung, wie weit die Priesterschaft und wie weit die Königsherrschaft gehen soll. Und diese Abgrenzung muß so `gefunden werden, daß der Staat seinerseits dabei bestehen kann. Denn in dem Reiche dieser Welt hat er das Regiment und den Vortritt.“

Am 24. April sprach Bismarck noch einmal über dasselbe Thema und führte aus:

… Es muß in mir sehr starke Ueberzeugung gewesen sein, daß durch die Tätigkeit nicht der katholischen Kirche, sondern der nach weltlicher Priesterschaft strebenden Partei innerhalb der katholischen Kirche eine Politik getrieben wurde, welche die Grundlagen unseres Staates in einer Weise anfaßte resp. erschütterte oder bedrohte, daß ich als Minister die Verantwortlichkeit für längeres Zuwarten nicht tragen konnte…

Am 1. Mai 1873 wurden die neuen Kirchengesetze im Herrenhause mit großer Mehrheit angenommen und am 15. Mai veröffentlicht.

Sie bilden den Anfang des gesetzmäßigen Abwehrkampfes des Staates. Der Staat kämpfte mit Gesetz und Recht um seinen Anspruch, und da es um prinzipielle Fragen ging, durfte er nicht nachgeben. Bezeichnenderweise nahmen auch evangelische Kreise jetzt entschieden Partei gegen Bismarck, da sie durch den Anspruch auf Oberhoheit des Staates die „evangelische Freiheit“ bedroht sahen. Der Liberalismus hatte mit den Kirchen ein Bündnis geschlossen, um den Machtanspruch des Staates zu verneinen.

Und dabei hatte der Staat den Kirchen kaum irgendetwas zugemutet, was den Bekenntnisstand gefährden konnte, er hatte lediglich die kirchliche Willkür zugunsten der Staatsautorität zurückgedrängt. Es war selbstverständlich, daß der Staat sich dagegen auflehnen mußte, daß die Kirchen mit gesteigertem äußeren Zwang ihre Gemeindeglieder zu Taten, die nicht im Interesse des Staates lagen, beeinflussen konnten. Er beschränkte daher die Handhabung der Straf- und Zuchtgewalt und verbot vor allem die Verhängung der großen Exkommunikation, sofern sie unter Nennung der Schuldigen verkündet wurde, weil sie dann unter dieser Voraussetzung die bürgerliche Verkehrssperre, also die Aechtung, nach sich zog.

Die Kirchen wehrten sich dagegen, daß die mittelalterliche Strafgewalt von Bann und Aechtung nunmehr aufhören sollte, und daß mit der Minderung des Zwangs nun auch eine Minderung des kirchlichen Einflusses gerade auf die breiten Volksschichten eintreten mußte. Sie wehrten sich dagegen aus der Erkenntnis, daß, die Zeit zu Ende war, in der der Staat ein Diener der Kirche und der Vollstrecker ihrer Rechtsprechung war. Der omnipotente Staat kennt eben nur ein Recht, das ist sein eigenes. Und er weiß, daß er sich auf das Volk nur dann verlassen kann, wenn er diesem Volk ein einigendes und unerschütterliches Recht gibt. Jede Teilung der Autorität muß zwangsläufig zur Minderung des staatlichen Einflusses führen. Das wußten die Kirchen und versuchten alles, der Ausschaltung aus dem öffentlichen Leben zu entgehen.

Der moderne Staat, der sich auf die Einsatzbereitschaft eines einigen Volkes stützt, und nur diese Voraussetzung gibt ihm die Möglichkeit Politik zu treiben, muß nun einmal die Politik im weitesten Sinne als sein Reservat erklären und die Kirche, die sich dagegen auflehnt, bis zum letzten bekämpfen. Die Neuzeit beginnt mit dem Augenblick der Ueberwindung des mittelalterlich-kirchlichen Einflusses und mit dem totalen Anspruch des Staates. Die Neuzeit überwindet das im Kirchentum verankerte Individuum und setzt an dessen Stelle den politischen, völkischen Gemeinschaftsmenschen.

Alle Versuche, diese klare und naturgegebene Entwicklung zu unterbrechen, werden, und wenn sie noch so zielstrebig und klug unternommen werden, zwangsläufig heute oder morgen scheitern.

Wieweit mit dem mittelalterlichen Kirchentum das Christentum selbst überwunden werden wird, hängt von der absoluten, also gegebenenfalls von der Kirche gelösten, Christlichkeit ab, über deren Existenzmöglichkeit und Vorhandensein hier nicht gesprochen werden soll.

Der Kirchenaustritt wurde wesentlich erleichtert. Damit hörte der Staat Bismarcks auf, ein christlicher Staat zu sein. Es ist müßig, darüber nachzusinnen, ob überhaupt jemals in der Welt eine christliche Staatsform bestanden hat, ob sie überhaupt bestehen konnte, es geht darum, daß von seiten der Kirchen stets vom christlichen Staat, und sei es auch nur als Forderung gesprochen wurde. Die evangelische Kirche folgert aus dem gelegentlichen Abendmahlsbesuch Bismarcks noch heute, daß Bismarck ein Christ und demzufolge ein christlicher Staatsmann gewesen sei. Tatsache ist, daß Bismarck für den totalen, also christlich indifferenten Staat und damit nach dem Sinne der Bibel unchristlichen Staat kämpfte.

Früher galt es als ein Akt der Staatsfeindschaft, aus der Kirche auszutreten. Bismarck sorgte dafür, daß Kirchlichkeit und Staatstreue nicht mehr derselbe Begriff blieben. ja, er dokumentierte damit die Gleichgültigkeit, die Uninteressiertheit des Staates an den Dingen der Kirche.

So wurde auch gerade dieser Schritt des Staates auf Seiten der Kirchen aufgenommen. Von den Geistlichen wurde durch den Staat ein Universitätsstudium und Ablehnung eines „Kulturexamens“ verlangt. Diese Maßnahme, die an sich der geistigen Hebung des Pfarrerstandes hätte dienen können, wurde ebenfalls von den Kirchen empört als unannehmbare Zumutung abgelehnt.

Knabenseminare, Erziehungsanstalten, sowie Priester- und Predigerseminare kamen unter Aufsicht des Staates, die vom Oberpräsidenten der betreffenden Provinz ausgeübt wurde.

Bei der Anstellung von Geistlichen und Lehrern wurde die deutsche Staatsangehörigkeit zur Bedingung gemacht. Ebenfalls behielt sich der Staat bei Stellenbesetzungen durch Geistliche das Vetorecht vor. Die Forderungen des Staates waren um so berechtigter, als Bismarck ja noch nicht an eine Trennung zwischen Staat und Kirche dachte, und der Staat die Kirchen unterhielt!

Der „Königliche Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten“ wachte darüber, daß die Kirchen nicht mit unerlaubten Zwangsmaßnahmen gegen ihre Angehörigen vorgingen, daß sie also keine Prügelstrafen, zu hohe Geldstrafen und die Aechtung verhängten.

Das Gesetz über die Disziplinargewalt bestimmte u. a., daß nur von deutschen kirchlichen Behörden Strafen verhängt werden dürften, daß Entfernung aus dein Amt nur nach vorangegangenem Prozeß erfolgen könnte usw.

Das war deswegen sehr Wichtig, weil Rom noch immer versuchte, von sich aus gegen Abtrünnige mit schlimmsten Strafen vorzugehen. Bis in die jüngste Vergangenheit hinein hat man in Rom versucht, Mißliebige in den Kerkern einer modernen Inquisition verschwinden zu lassen. Und noch vor kurzer Zeit haben jesuitische Pfaffen den Mut gehabt, von der heilsamen Inquisition und den Segnungen des Scheiterhaufens zu sprechen!

Der Staat lehnte es weiterhin ab, der Büttel der Kirche zu sein. Er bestritt, eine Pflicht zur Ausführung kirchlicher Disziplinarentscheidungen zu haben.

Die in Fulda versammelten Bischöfe lehnten sich mit folgenden beachtlichen Ausführungen gegen die Staatsautorität auf:

Die Kirche kann den Grundsatz des heidnischen Staates, daß die Staatsgesetze die letzte Quelle alles Rechtes seien und die Kirche nur die Rechte besitze, welche die Gesetzgebung und Verfassung des Staates ihr verleiht, nicht anerkennen, ohne die Gottheit Christi und die Göttlichkeit seiner Lehre und Stiftung zu leugnen, ohne das Christentum selbst von der Willkür der Menschen abhängig zu machen.“

(Kundgebung der Fuldaer Bischofskonierenz vom 26. 5. 73.)

Es darf um der Wahrheit willen nicht verschwiegen werden, daß auch unter den staatstreuen Katholiken der Haß gegen die römischen Sendlinge und ihre Wühlarbeit in Deutschland wuchs.

So richteten am 14. Juni einige aufrichtige deutsche Katholiken eine Adresse an den Kaiser, in der sie sich gegen den „Versuch der extremen Partei, sich als alleinige Vertreterin der Katholiken Deutschlands hinzustellen“ verwahrten.

Der Kaiser antwortete ihnen sehr herzlich in einem Schreiben vom 22. Juli 1873.

Irgendwelchen Einfluß auf die römische Hetze hatte dieses Schreiben der deutschen Katholiken natürlich nicht.

In der Geschichte hat es sich später einige Male wiederholt, daß nationale oder patriotische Katholiken Einspruch dagegen erhoben, daß mit ihrer Religion Schindluder und Parteihandel getrieben wurde. Immer aber wurden diese wenigen Ausnahmen vom geschlossenen Block der Römlinge an die Wand gedrückt und zum Schweigen gebracht. Deutschdenkende Katholiken, die sich gegen den Ultramontanismus wehrten, wurden in der Echtheit ihrer katholischen Gesinnung – und das, wenn man einmal von Rom aus denkt, von Rechts wegen – beargwöhnt.

Am 7. August 1873 konnte der Papst nicht umhin, dem greisen und gutmütigen Kaiser Wilhelm I. ein Schreiben zu schicken, in dem es heißt:

„Sämtliche Maßregeln, welche seit einiger Zeit von Eurer Majestät Regierung ergriffen sind, zielen mehr und mehr auf die Vernichtung des Katholizismus ab. .. Anderseits wird mir mitgeteilt, daß Eure Majestät das Verfahren Ihrer Regierung nicht billigen und die Härte der Maßregeln wider die katholische Religion nicht gutheißen. Wenn das wahr ist, werden dann Eure Majestät nicht die Ueberzeugung gewinnen, daß diese Maßregeln keine andere Wirkung haben als diejenige, den eigenen Thron Eurer Majestät zu untergraben? Ich rede mit Freimut, denn mein Panier ist Wahrheit, und ich erfülle meine Pflicht, allen die Warheit zu sagen, auch denen, die nicht Katholiken sind.m in irgend einer Beziehung oder auf irgend eine Weise dem Papste an.“

In einem Schreiben vom 3. September antwortete der Kaiser ruhig und vornehm, daß er und seine Regierung eins seien und er als Protestant es alblehnen müsse, in irgendeiner Weise dem Papst anzugehören.

Ebenso ruhig und vornehm schritt die Regierung den einmal gewählten Weg weiter.

Im Dezember 1873 wurde das Verfahren auf Absetzung gegen den Erzbischof von Posen, Graf Ledochowski, eröffnet. Dieser römische Priester hatte trotz aller Mahnungen und auch nach Sperrung der Gelder nicht aufgehört, gegen das Reich zu hetzen und hatte die unmöglichsten politischen Zustände in Posen heraufbeschworen. Das Verfahren gegen ihn endete mit seiner Amtsenthebung und Verhaftung.

Der Papst antwortete mit einer Enzyklika, in der er die Bischöfe zum Ausharren im Kampf um die gerechte Sache ermahnte. Auf gut Deutsch: er goß in altgewohnter Weise Oel ins Feuer!

Der Staat sah sich genötigt, den bischöflichen Eid auf die Verfassung durch folgenden Zusatz bindender zu machen: „… Die Gesetze des Staates gewissenhaft zu beobachten.“

Der Zentrumsabgeordnete Reichensperger hatte den typisch jesultischen „Mut“, im Abgeordnetenhaus folgenden Antrag einzubringen:

„Das Haus wolle beschließen, an die Staatsregierung die Erklärung gelangen zu lassen, daß der seit dem Jahre 1871 gestörte kirchliche Friede des Landes nach den ernsten Erfahrungen der Gegenwart nicht durch Verfolgung der Bahnen, welche mit den neuesten, das Kirchenwesen betreffenden Gesetzgebungs- und Verwaltungsakten betreten worden sind, sondern nur durch die Rückkehr zu den in langjähriger Vergangenheit bewährten Grundsätzen zu erreichen ist.“

Der Antrag, der von Reichensperger rein provokatorisch unternommen worden war, wurde natürlich abgelehnt.

Inzwischen war Roon zurückgetreten, und für ihn war Bismarck wieder mit der Führung des Staatsministeriums beauftragt worden.

Die katholische Aktion war ungeschwächt bei den Neuwahlen des Reichstags am 10. Januar 1874 mit 92 Sitzen hervorgegangen.

Bismarck sah, daß er in diesem Kampf nicht nachgeben durfte, weil der Gegner ebenso zielbewußt kämpfte wie er.

Als nächstes wurde der Gesetzentwurf über die Zivilehe vorgelegt. Eine fakultative Zivilche bestand schon seit 1860. Allerdings hatte sie kaum eine praktische Bedeutung erlangt. In Wahrheit benutzten die Geistlichen die Eheschließungen zu unerhörtem Gewissenszwang.

Wer einmal die Gelegenheit gehabt hat, im Preußischen Geheimen Staatsarchiv zu Berlin-Dahlem die Akten über die sogenannten „Mischehen“ (beispielsweise Ehen zwischen Evangelischen und Katholiken) nachzulesen, wird sich mit Grauen der tragischen Fälle erinnern, wo junge Menschen den Tod suchten, weil ihnen die Priester die Eheschließung verweigerten; der wird sich an Fälle erinnern, in denen Verlobte verschiedener christlicher Konfession Juden wurden, um sich heiraten zu können, weil die Kirchen ihnen nicht die Erlaubnis gaben. Unbeschreiblich war der Gewissensterror, waren die Drohungen und Verfolgungen, die von den Kirchen ausgeübt wurden. Geschiedene durften ‚als Gottlose nicht wieder heiraten. Die furchtbarsten Familientragödien waren wegen Erziehungsfragen entstanden. Der Gesetzentwurf über die Zivilehe war mehr als ein Vorstoß des Staates in der Richtung seines totalen Anspruchs, er war eine Tat der Menschlichkeit gegenüber den unmenschlichen, frommen Eiferern, er war eine Tat der Erlösung für alle die, die von den Kirchen keine Anerkennung und Bestätigung ihres Verlöbnisses bekamen und im Konkubinat leben mußten, wobei sie sich der Schande und der Verfolgung aussetzten. Das Gesetz über die Zivilehe, das am 16. Januar 1874 angenommen wurde, beendete mit einem Schlage diese Unmöglichkeiten, indem rechtsgültige Ehen nur noch vor dem Standesbeamten als Vertreter des Staates geschlossen werden durften.

Geburt, Heirat und Tod wurden nun im Standesamt registriert, so daß die Kirchen von amtswegen überflüssig wurden. Der Erfolg war, daß schlagartig Taufen und kirchliche Trauungen zurückgingen. Sofort setzte auch von evangelischer und „konservativer“ Seite ein sehr starker Angriff gegen Bismarck ein.

Im Frühjahr 1874 wurden als Ergänzung der ersten Maigesetze von 1873 neue Entwürfe vorgelegt.

Zunächst wurde am 4. Mai 1874 das Reichsgesetz genehmigt, nach dem Geistlichen, die trotz Verbotes oder Amtsenthebung kirchliche Handlungen vornahmen, der Aufenthalt an bestimmten Orten untersagt oder zugewiesen werden konnte. Dann kamen die Zusatzanträge zur Ergänzung des Gesetzes über die Ausbildung der Geistlichen und über die Verwaltung erledigter katholischer Bistümer. Am 9. Mai wurden die neuen Maigesetze im Abgeordnetenhaus angenommen; sechs Tage später wurden sie im Herrenhaus nochmals genehmigt. Auch diesmal betonte der Staat wieder seine Friedensbereitschaft und erklärte, daß diese Ausnahmegesetze nur für die Dauer des Kampfes bestehen sollten.

Rom übersteigerte sich in seinem Haß. Pfaffen hatten den traurigen Mut, von Bismarck als tollem Hund zu sprechen, der beseitigt werden müßte. Die Mordhetze gegen Deutschlands Kanzler hatte dann auch zur Folge, daß ein fanatisierter Römling, Kullmann, am 13. Juli 1874 in Kissingen, wo sich seit neun Tagen Bismarck zur Kur aufhielt, die Pistole erhob, um als Christ den Deutschen Bismarck zu ermorden!

Der Schuß traf Bismarck in die rechte Hand. Kullmann erklärte ausdrücklich, er habe Bismarck, Aiesen liberalen Schuft“, aus religiösen Gründen umbringen wollen, und daß er den Haß gegen Bismarck von seinem Pfarrer Störmann eingeimpft bekommen habe!

Die katholische Presse besaß die Gemeinheit, diese Tat ihres Glaubensbruders Kullmann als „psychologisch verständlich“ hinzustellen.

Man gab also Bismarck die Schuld, daß er sich von einem so beklagenswerten frommen Katholiken beinahe hätte totschießen lassen dürfen. Ein Erfreuliches hatte dieses Attentat allerdings doch zur Folge: manch Harmloser in Deutschland lernte sehen, wie weit Rom es in seinem Haß kommen läßt!

Die Ultramontanen waren schnell dabei, den Kullmann für nicht normal zu erklären, als diese Attentatsaffäre eine erhebliche romfeindliche Stimmung in Deutschland hervorrief.

Aber Bismarck rief in seiner Rede vom 4. Dezember 1874 Windthorst zu:

Aber mögen Sie sich lossagen von diesem Mörder, wie Sie wollen, er hängt sich an Ihre Rockschöße fest. Er nennt Sie seine Fraktion!“

Am 5. Dezember endlich erfolgte der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und dem vatikanischen Rom.

Bismarck-enthüllt in aller Oeffentlichkeit die ungeheuerlichen Ziele Roms, das, durch seinen Machtwahn verblendet, vor nichts zurückschrecke, daß es Kriege anzettele, um im Völkermorden zu profitieren.

Rom schwieg oder machte nichtssagende Ausflüchte! Bismarck wies nach, daß Rom mit den Franzosen gemeinsame Sache gegen Deutschland machte, als der Krieg ausbrach, daß Rom im teuflischen Haß gegen den Norden sich jedes menschlichen, geschweige religiösen Zuges begab! Rom zuckte die Achseln!

Am 5. Januar 1875 wurde der Bischof von Paderborn, Dr. Martin, seines Amtes von Staatswegen entsetzt.

Im Urteil gegen ihn heißt es:

„… Seitdem die Gesetze vom 11., 12., 13. Mai 1873 in Wirksamkeit getreten sind, hat der Bischof fortgesetzt durch öffentliche Verkündigungen, feierliche Ansprachen und anderweitige Veranstaltungen den Wahn einer Religions- und Kirchenverfolgung zu nähren und mit dem ganzen Gewichte seines mächtigen Einflusses die Katholiken seiner Diözese in gefährlicher Weise und mit Erfolg zum äußersten Widerstand gegen die Staatsgewalt und die Gesetze aufzuregen versucht…

Auch der Fürstbischof von Breslau, Dr. Förster, wurde seines Amtes enthoben.

Die bekannte Märtyrerpsychose griff um sich, und Rom schürte immer wieder zum Aufruhr.

Am 5. Februar 1875 erließ der Papst eine Enzyklika an die Erzbischöfe und Bischöfe in Preußen, in der er zum Widerstand gegen die Kirchengesetze hetzte und alle staatstreuen Geistlichen mit der Exkommunikation bedrohte!

Die Regierung brachte im März 1875 eine Vorlage ein, nach der der Staat die Leistungen einstellen durfte, wenn die römisch-katholische Kirche gegen die Staatsgesetze verstieß.

Es war für den Staat selbstverständlich, diese Konsequenz zu ziehen und die Gelegenheit zur Trennung zu benutzen.

Rom antwortete darauf mit einer Demonstration: es ernannte den abgesetzten Bischof von Posen Gnesen zum Kardinal!

Am 2. April erließen die Bischöfe der Fuldaer Bischofskonferenz eine Immediatvorstellung gegen die Vorlage. Sie wehrten sich dagegen, daß man ihnen die Staatsgelder entziehen wollte.

Am 17. April wurde der Gesetzentwurf über die Einstellung der staatlichen Leistungen an die katholische Kirche mit 264 : 88 Stimmen durchgebracht.

In einem Gesetzentwurf vom 16. April 1875 wurde eine Aenderung der Verfassung vom 31. 1. 1850 in einem Gesetzentwurf vorgelegt und nach mehreren Beratungen genehmigt.

Die Verfassungsänderung lautete folgendermaßen

„… Die Artikel 15, 16 und 18 der VerfassungsUrkunde vom 31. Januar 1850 sind aufgehoben. Die Rechtsordnung der evangelischen und katholischen Kirche sowie der anderen Religionsgesellschaften im Staate regelt sich nach den Gesetzen des Staates.

Mit diesem Vorstoß zerbrach der Staat ein Vorrecht der Kirchen, ein Vorrecht der Hierarchie, und verlangte, daß an alle Anstalten und Vereinigungen des öffentlichen Rechts gleiche Maßstäbe gelegt würden. Durch ihre zahlreichen Sonderrechte hatten es die Kirchen bisher verstanden, außerhalb des rechtlichen Zugriffs des Staates zu bleiben und damit in fast allen Fällen unter Berufung auf die Sonderrechte unantastbar zu sein. Zu allen Zeiten haben die Kirchen in ihren Kämpfen *um ein Konkordat um dieses Vorrecht gerungen.

Bismarck hatte niemals daran gedacht, etwa die christliche Religion auszurotten. Er wußte, daß nichts die Kirchen bisher so gestärkt hat wie tatsächliche oder behauptete Verfolgung, und daß die Märtyrerinstinkte die am meisten ernstzunehmenden sind, weil sie nun einmal auch die eitelsten sind!

Es lag ihm also nichts daran, die katholische Bevölkerung von heute auf morgen mit Gewalt aus den Klauen Roms zu reißen. Er wußte sehr wohl, daß die völkisch-weltanschauliche Befreiung Deutschlands einer späteren Zeit vorbehalten bleiben mußte. Bismarck ging es vornehmlich als Staatsmann darum, Uebergriffe einer fremden Macht in die gebührenden Schranken zurückzuweisen und Rom zu zeigen, daß ein kampfwütiger Papst nicht ungestraft die Nation höhnen darf.

Bismarck mußte es erleben, daß die von Rom betriebenen Intrigen stark genug waren, Keile in die Regierung zu treiben und ihn fast völlig zu isolieren. Ein in Deutschland wenigstens zielbewußter Protestantismus hätte Bismarck die nötige Stütze und den für einen Angriff unentbehrlichen Rückhalt geben können. Aber die evangelische Kirche kannte nicht den unbedingten und unbeirrbaren Willen zum Reich, sondern war zum größten Teil darüber verbittert, daß im Kampf um die Staatsoberhoheit auch ihre „Rechte“ angetastet wurden.

Das Deutschland zur Zeit Bismarcks war zu wenig revolutionär, um zu sehen und zu wissen, daß alle Kämpfe im und um den Staat letztlich Geisteskämpfe sind, die alle Bereitschaft zur Entscheidung fordern. Die bürgerlich- individualistische Epoche wollte es einfach nicht wahr haben, daß Rom eine geistige Macht ist, mit der im Frieden leben heißt, sich unter ihre Herrschaft zu begeben!

Bismarck mußte einsehen, daß er gegen das Nichtwissenwollen seiner Zeit auf die Dauer machtlos war. Um der Nation willen konnte und durfte er nicht über dem Kulturkampf stürzen.

Die allmählich eintretende Ermüdungserscheinung im Kampfe ist nicht die Schuld Bismarcks, sondern die seiner bürgerlich-unkriegerischen und damit zum politischen Kampf ungeeigneten Umwelt.

Das Bürgertum, das durch den gewonnenen Krieg und die Reichsgründung sehr schnell reich und satt wurde, hatte für den langen Geisteskampf einfach kein Interesse und damit auch keine Zeit mehr. Man wollte in Ruhe verdienen! Diese deutsche Tragik hat sich leider in der Geschichte häufig wiederholt, und es scheint das deutsche Schicksal zu sein, daß nur in Zeiten der Armut und der Erniedrigung Ideen geboren und verfochten werden. Am 16. April 1875 sprach Bismarck die denkwürdigen Worte:

„Wie uns die Geschichte kriegerische Päpste und friedliche, fechtende und geistliche zeigt, so hoffe ich, wird doch auch wieder einmal demnächst die Reihe an einen friedliebenden Papst kommen, der nicht lediglich das Produkt der Wahl des italienischen Klerus zur Weltherrschaft erheben will, sondern der bereit ist, auch andere Leute leben zu lassen nach ihrer Art, und mit dem sich Frieden schließen lassen wird. Darauf ist meine Hoffnung gerichtet, und dann hoffe ich, wiederum einen Antonelli zu finden, der einsichtsvoll genug ist, um dem Frieden mit der weltlichen Macht entgegenzukommen.

Hier hat sich Bismarck der herrschenden Ansicht seiner Zeit unterstellen müssen, daß es auch ein Papsttum geben kann, das nicht den Weltherrschaftsanspruch erhebt.

Es kann nicht dick genug unterstrichen werden, daß das nicht etwa Bismarcks Meinung war, sondern daß leider der Hof „Friedens“weisungen ausgab.

Das heißt, es war Bismarck unmißverständlich zu verstehen gegeben worden, daß er sich mit Anstand aus der Affäre zu ziehen hätte! Für Bismarck war es eine Frage der Ehre, daß er mit dem herrschenden‘ Papst keinen Frieden schließen konnte. Und darin mußte ihm selbst der Hof beipflichten. Die Hoffnung auf den baldigen Tod dieses friedenstörenden Papstes war um so mehr begründet, als der Papst fast immer im kanonischen Alter zu stehen pflegt. Bismarck war Stratege genug, die gegebene Situation nach Kräften auszunützen. Die Hoffnung auf eine Versöhnung mit dem nachfolgenden Papst überließ er gern den Kompromißlern.

Anfang Mai 1875 kam im Abgeordnetenhaus der Gesetzentwurf betreffend „Aufhebung der Orden und Kongregationen“ zur Beratung. Der Entwurf wurde von Falk begründet und ohne Aenderung im Abgeordneten- und Herrenhaus angenommen.

Hiermit führte Bismarck noch einmal einen entscheidenden Schlag gegen Rom, denn in ganz Deutschland hatten die ultramontanen Sendlinge im Verlauf ihrer Gegenreformation es verstanden, an entscheidenden Orten sich einzunisten und durch ihre Klöster und Ordensniederlassungen sich strategische Punkte zu schaffen.

Hier traf Bismarck Rom noch einmal an einer besonders empfindlichen Stelle!

Und so ist es weiter nicht verwunderlich, daß die Bischöfe scheinbar nachgaben.

Das geschah, als das Gesetz über die Vermögensverwaltung in der katholischen Kirche verhandelt wurde, ein Gesetz, nachdem den katholischen Gemeinden ein Recht auf die Vermögensverwaltung in Form von Gemeindevertretungen und Kommissionen eingeräumt wurde.

Hier gingen die Bischöfe zum ersteimal auf die Kirchengesetze ein, unterstellten sich ihnen und versprachen ihre Unterstützung bei der Durchführung der neuen Bestimmungen.

Die Absicht des Klerus war, unangefochten und nun in aller Oeffentlichkeit eine romhörige Kirchenverwaltung aufzuziehen.

Die bürgerlich-harmlosen Kreise in Deutschland merkten diese Absicht nicht oder wollten sie nicht merken und waren hochbeglückt, in diesem „Einlenken“ der Bischöfe den Anfang der „Befriedung“ Deutschlands zu sehen!

Diese Stimmung der bürgerlichen Kreise verstand Rom geschickt für sich auszunutzen. Römische Kreise heuchelten jetzt Friedensbere-itschaft und ließen durchblicken, daß eigentlich nur die Regierung und letzten Endes grade Bismarck der Friedensstörer sei.

Reichensperger ließ sogar ein Traktätchen „Kulturkampf oder Friede in Staat und Kirche“ ins Volk gehen. Es war nur peinlich, beim näheren Zusehen merken zu müssen, daß alle Verständigungsvorschläge im Grunde nichts anderes waren als die Forderung nach Aufhebung der Maigesetze und damit nach Wiederherstellung des alten Zustandes, das heißt nach Unterwerfung des Staates unter die Kirche!

Die Jahre 1876 und 1877 brachten nichts wesentlich Neues im Kampf. Der Krieg zwischen Nation und Rom war in einen unerfreulichen und für die Nation lähmenden Stellungskampf übergegangen. Diese Situation benutzte Rom äußerst geschickt zu Wühlereien und zum Unterminieren.

Der Staat ging keinen Schritt weiter vor. Seine Schlagkraft war zum großen Teil durch Kliquenwirtschaft und durch Quertreibereien gelähmt. Bismarck hatte vollauf zu tun, einen schändlichen Rückzug zu verhindern.

Neue Gesetze wurden nicht mehr erlassen. Man begnügte sich allenfalls mit kleinen Zusätzen zu bestehenden Verordnungen.

Um die nötige Disziplin aufrechtzuerhalten, mußte der Staat einige Bischöfe absetzen. So am 8. März 1876 den Bischof Brinkmann von Münster, am 28. Juli 1876 den Erzbischof Melchers von Köln und am 13. Juni 1877 den Bischof Blum von Limburg.

In der Taktik des Zentrums war nach dem Tode Mallinckrodts (26. Mai 1874) und nach der Uebernahrne der Führung durch Windthorst eine entscheidende Aenderung eingetreten: man war zum passiven Widerstand übergegangen und hoffte den Staat damit geistig und seelisch auszuhungern.

Damit erreichte Rom alles was es wollte; denn das bürgerliche Deutschland war in geistigen und kulturellen Fragen weder aktiv noch passiv, sondern indifferent!

Zu Beginn des Jahres 1878 trat der erwartete Tod Pius IX. ein (am 7. Februar). Sein Nachfolger wurde am 3. März desselben Jahres Leo XIII.

Der Sieg der katholischen Aktion über die deutsche Gleichgültigkeit

Die gleichgültigen Kreise sahen in dem Tod des Papstes Pius die Voraussetzung für die Beendigung des Kampfes. Rom selbst hatte das größte Interesse an einer Aenderung der Taktik und gab vor, guten Willens für den Frieden zu sein. Wohlgemerkt, unter der stillen Voraussetzung der Zurücknahme aller beengenden Staatsgesetze!

Bismarck blieb nichts weiter übrig, als ebenfalls seine Friedensbereitschaft zu versichern und im übrigen zu versuchen, sich der Taktik Roms anzugleichen, um wenigstens mit ähnlichen Waffen kämpfen zu können. Hierbei war Bismarck von vornherein Rom unterlegen, weil er allein stand und nicht im entferntesten über Verbindungen und Möglichkeiten verfügte, wie Rom sie ausspielen konnte.

Bismarck änderte sein Verhalten bis zur Liebenswürdigkeit.

Die liberalen Kreise, die ihn nie verstanden hatten, legten ihm das als Charakterlosigkeit aus, ein Vorwurf, den Bismarck um so gefaßter trug, als es ihm ja nicht um seine Person, sondern um die deutsche Sache ging.

Der Wechsel in der Besetzung des Heiligen Stuhles brachte zunächst einen Austausch von Schreiben zwischen Berlin und Rom mit sich. Der Kaiser und der Kronprinz sprachen in ihren Adressen die Hoffnung auf baldigen Frieden aus.

Geschickt antwortete das Zentrum unter Windthorst damit, daß es alle Brüskierungen Bismarcks unterließ und sich „auf vornehm“ tarnte.

Rom wußte, was es wollte; denn trotz aller äußeren Ruhe gerade in der letzten Zeit gab es eine ganze Reihe verödeter Pfarreien und unbesetzter Bischofsstühle; die Zahl der sogenannten Staatspfarrer war gering und reichte bei weitem nicht aus, die Vakanzen zu besetzen. Dort aber, wo kein Sendling Roms stand, war immerhin zu befürchten, daß bei einem zielbewußten Gegenstoß mancher sich von Rom wenden und zum Staat bekennen könnte. Der Gegenstoß wurde allerdings weder von der evangelischen Kirche noch von einer einflußreichen politischen Partei geführt.

Es dauerte auch nicht lange, bis die ersten Verhandlungen zwischen Berlin und Rom einsetzten. Im August 1878 hatte Bismarck in Kissingen eine Besprechung mit dem Münchener Nuntius, dem Kardinal Marsella. Rom wollte zum Zeichen der „Versöhnung“, das heißt zum Zeichen des Triumphes, zunächst die Wiederherstellung der Gesandtschaft erreichen.

Bismarck mußte zusehen, aus diesen Verhandlungen für das Reich herauszuholen, was noch herauszuholen war.

Er versuchte, zunächst das Zentrum gefügig zu machen. Darum forderte er als Preis für die Wiederherstellung der Gesandtschaft die Zustimmung des Zentrums für das bevorstehende Sozialistengesetz. Hierauf ging das Zentrum nicht ein, weil es sich die ungeheure Chance nicht entgehen lassen wollte, die Früchte der Unzufriedenheit aller Kreise, die vom Sozialistengesetz betroffen wurden, einzuheimsen.

Auch die andere Forderung Bismarcks, die Beibehaltung der staatlichen Vetorechte bei katholischen Stellenbesetzungen, stieß auf den Widerstand Roms. So mußten die ersten Wiederannäherungsversuche als gescheitert angesehen werden.

Es begann nun ein Katz-und-Maus-Spiel. Es sollte sich erweisen, wer die größte Ausdauer haben würde. Zunächst trat ein Wechsel in der Person des päpstlichen Staatssekretärs ein. Franchi, der als gemäßigter Katholik am 3. März 1878 sein Amt als Staatssekretär des Papstes angetreten hatte, starb bereits im August. Sein Nachfolger Ninad wurde mit vielen Versprechungen Deutschland gegenü er als Freund des religiösen Friedens eingeführt. Immer wieder erfolgte der Vorstoß Roms gegen die Kampfgesetze. Die Regierung hielt jedoch trotz Versprechungen und Drohungen der Ultramontanen an ihnen fest.

Bismarck und seine Mitarbeiter sahen immer deutlicher, daß es Rom nicht auf Frieden schlechthin, sondern auf Sieg über Deutschland ankam.

So erklärte Falk am 11. Dezember 1878 in einer Rede im Abgeordnetenhaus den Sendlingen Roms:

Sie muten also der Staatsregierung einen Frieden zu auf der Basis der unbedingten Unterwerfung. Nun, meine Herren, einen solchen Vorschlag kann man wohl einem Gegner machen, der niedergeworfen am Boden liegt und an Händen und Füßen gefesselt ist, aber nicht einem Gegner gegenüber, der aufrecht steht und aufrecht stehen bleibt.

Diese Rede Falks, die ein offenes Wort eines deutschen Mannes und nichts anderes war, wurde auch von evangelischen Kreisen als „unklug“ abgelehnt. Man wollte eben Frieden!

Auch der Papst sah jetzt den Augenblick gekommen, seine Friedensliebe zu bekunden und dadurch nach Möglichkeit die Verantwortung für weitere Spannungen der deutschen Regierung zuzuschieben.

In einem Schreiben an den früheren Erzbischof von Köln, Melchers, erklärte er ausdrücklich seinen Wunsch, mit Deutschland Frieden zu haben.

Sofort ging durch die Presse die Meldung, der Heilige Vater wolle allem Streit ein Ende machen und strecke Bismarck die Hand hin. Dahinter aber stand schon die drohende Frage, was die deutsche Regierung auf diese hochherzige Geste des Papstes zu tun gedenke!

Die nächste Zeit sah in erster Linie direkte Verhandlungen zwischen Bismarck und Rom.

Ende März 1879 empfing Bismarck den Zentrumsführer Windthorst. Bei dieser Gelegenheit wurden Fragen des Kulturkampfes besprochen. Eine zweite Besprechung zwischen diesen beiden Vertretern sich gegenseitig ausschließender Welten fand am 16. Mal 1879 statt. Hierbei kam sogar ein kurzes Zusammengehen von Regierung und Zentrum in den Fragen der Wirtschafts- und Zollpolitik zustande.

Bismarck, der jetzt hauptsächlich von den Liberalen bekämpft wurde, spannte ganz bewußt die schwarzen Pferde des Zentrums vor seinen Wagen. Er war der Mann, der das unternehmen konnte, ohne seiner großen Linie untreu zu werden.

In Zentrumskreisen begann man bereits gegen Windthorst zu meutern, weil man fürchtete, daß Bismarck das gesamte Zentrum durch einige geschickte Schachzüge mattsetzen würde.

Um dem auf jeden Fall auszuweichen, versteifte sich das Zentrum darauf, daß die Maigesetze in Bausch und Bogen aufgehoben werden müßten.

Noch einmal boten die Sendlinge Roms ihren ganzen Einfluß bei ihren Kliquen am Hofe auf, um, wenn schon nicht Bismarck, so doch wenigstens den verhaßten Falk zu beseitigen.

Der Kaiser selbst wurde in die Intrigen hineingezogen und empfing seinen Minister Falk immer ungnädiger.

Selbst Bismarck konnte Falk nicht mehr halten, ohne Gefahr zu laufen, ebenfalls in den Sturz verwickelt zu werden. Im Juli 1879 wurde Falk endlich gestürzt. Rom triumphierte!

Es hatte seine Macht bewiesen.

Zwar hatte es keinen Sieg über das deutschen Volk errungen, selbst nicht einmal über die deutsche Regierung, wohl aber hatte es das  deutsche Bürgertum und den Hof geschickt geschlagen.

Besonders der Hof war so geschickt hinter das Licht geführt worden, daß er nicht merkte, wie er mit eigener Hand sein Todesurteil unterschrieb. Vierzig Jahre später werden ihm die Augen aufgegangen sein.

Die nächsten Ereignisse folgten Schlag auf Schlag. Mit dem Rücktritt Falks war der von Rom begonnene und von Römlingen so getaufte „Kulturkampf“ praktisch beendet.

Der Nachfolger Falks, Oberpräsident von Puttkammer, war ein dem Zentrum sehr genehmer Mann. Gleich in seiner ersten Rede betonte er den großen Friedenswillen des Staates.

Der Papst erwiderte mit einem nichtssagenden, aber schönklingenden Breve am 24. Februar 1880.

Inzwischen glaubte Bismarck in der polnischen Frage, die ihm besonders am Herzen lag, jetzt auf die Unterstünzung des Zentrums hoffen zu können.

Diese Hoffnung erwies sich als große Täuschung, und Bismarck mußte mit Grauen erkennen, wie fanatisch Rom ein Ziel verfolgt und wie unversöhnlich es trotz aller andersartigen Beteuerungen dem romfreien Norden gegenübersteht.

Da die Regierung bisher weder die Maigesetze zurückgenommen noch auch die diplomatischen Beziehungen offiziell wiederhergestellt hatte, begann das Zentrum aufs neue, eine zielstrebige Opposition zu treiben.

Bismarck war jetzt soweit isoliert, daß er einen neuen Kampf nicht mehr aufnehmen konnte. Das einzige, was ihm zu tun blieb, war die Möglichkeit, eine völlige Niederlage der Regierung zu verhindern oder doch wenigstens den Anschein der Schwäche der Regierung und das Eingeständnis der Offenheit für Intrigen bei Hofe zu vermeiden oder zu vermindern.

Als Vertrauensmann der Regierung führte Prinz Reuß mit dem Römling Jacobini Vorverhandlungen. Wie Bismarck über diese Verhandlungen dachte, geht aus seinem Schreiben vom 20. April 1880 an Reuß hervor:

„… Die Regierung kann friedlichen Bestrebungen friedlich entgegenkommen, läßt sie sich aber durch Kampf und Drohungen die Hand zwingen, so hat sie als Regierung aktzeptiert. Wenn es nun dazu kommt, daß auch der Papst oder wenigstens der Pronuntius Ew. Durchlaucht gegenüber von einer drohenden Sprache Nutzen für die Verhandlungen zu erwarten scheint, so sehe ich daraus mit Bedauern, wie fern nun dort jedem hier annehmbaren Gedanken an einen modus vivendi steht

Ich habe weder zu Masella noch zu Lacobini jemals eine Silbe gesagt, welche dahin hätte gedeutet werden können‘ daß wir in eine Revision resp. Abschaffung der Maigesetze nach Maßgabe der klerikalen Forderungen willigen würden.

Friedliebende Praxis, erträglicher modus vivendi auf der Basis beiderseitiger Verträglichkeit ist alles, was mir jemals erreichbar schien…

Mit diesem Schreiben entlarvte Bismarck die Täuschungsmanöver Roms, das bereits begann, zur Grundlage der Verhandlungen erdichtete Versprechungen heranzuziehen.

Darin war Rom stets groß. Es ist ja bekannt, daß der ganze römische Kirchenstaat auf einem groß angelegten Schwindel beruht, den Laurentius Valla aufgedeckt hat. Kein Geringerer als Ulrich von Hutten hat deshalb den Papst und seinen Staat mit deutschen und deutlichen Worten angegriffen!

Im Mai 1880 wurden die Verhandlungen als ergebnislos abgebrochen. Der Staat ging nun seinerseits daran, Kompromisse zu schließen.

Er entwarf „Milderungsgesetze„.

Das erste „Milderungsgesetz“ stammt vom 14. Juli 1880. Es behandelte im wesentlichen die Frage des Wiederaufnehmens der Staatsunterstützungen an die katholische Kirche. Außerdem sollten die Staatspfarrer die Seelsorge in den verwaisten Bezirken übernehmen dürfen. Die Vorlage stieß auf den erbittertsten Widerstand des Zentrums. Rom wollte keinen Kompromiß, sondern Sieg, es wollte keine Milderun s esetze sondern die Zurücknahme der Maigesetze.

Am 17. Juni 1881 trat Puttkammer ins Ministerium des Innern über. Das Kultusministerium wurde von dem Unterstaatssekretir von Goßler übernommen. Goßler setzte die Versöhnungspolitik Puttkammers fort. Aber auch er war ein Gegner der Aufhebung der Maigesetze.

Am 16. Januar 1882 wurde ein zweites Milderungsgesetz vorgelegt, das im wesentlichen sich mit der Frage der abgesetzten Bischöfe befaßte, die im Falle der Begnadigung wieder in ihre Diözese eingesetzt werden sollten. Außerdem sollte das Kulturexamen in gewissen Fällen aufgehoben werden.

Trotzdem verschärften sich die Spannungen, als Ledochowski seine Hetztätigkeit am Vatikan begann. Rom versuchte, seinen Einfluß auf den Polnisch sprechenden Osten auszuspielen.

So kam es, daß die Milderungsgesetze weder vom Papst anerkannt noch vom Staate angewandt wurden.

Der Kaiser begann nun persönlich, durch Briefwechsel mit dem Papst eine Entspannung herbeizuführen.

Am 11. Juli 1883 wurde das dritte Milderungsgesetz publiziert. Hierin wurde vor allem der Königliche Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten in Sachen der Uebertragung eines geistlichen Amtes oder Anstellung eines Lehrers aufgehoben.

Fest blieb die Regierung nur in der Weigerung, den Hetzer Kardinal Ledochowski wieder aufzunehmen. Bismarck drang jetzt darauf, das Zentrum aus den Verhandlungen zwischen Regierung und Kurie auszuschließen. Er sorgte dafür, daß als Vertreter Roms der Bischof Kopp aus Fulda ins Herrenhaus berufen wurde. Die Folge der Ausschaltung des Parlaments und die direkte Verhandlung im Herrenhaus war das erste „Friedensgesetz“ vom 21. Mai 1886, in dem das Kulturexamen abgeschafft und der Kirche das Recht auf eigene Ausbildung ihrer Diener zu-rückgegeben wurde. Außerdem wurde unter anderem der Königliche Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten endgültig aufgehoben.

Das doppelte Spiel, das der Papst trieb, kam in der fast komödienhaft anmutenden Haltung des Zentrums zum Ausdruck. Bismarck brauchte die Zustimmung des Zentrums für eine Militärvorlage, die am 25. November 1886 im Reichstag verhandelt wurde.

Das Zentrum weigerte sich, seine Zustimmung zu geben. Der Papst wurde angerufen und gab dem Zentrum den Befehl, für die Vorlage zu stimmen. Das Zentrum führte den Befehl nicht aus! Als es dann hart auf hart ging, stimmte der Papst nachträglich der Haltung des Zentrums zu! Ausdrücklich erklärte der Papst, daß er die Erhaltung des Zentrums wünsche! Und der Papst wußte, wozu er das Zentrum noch gebrauchen würde!

Nach vielen Verhandlungen und Kämpfen wurde am 29. April die Aufhebung des Verbotes der Orden mit Ausnahme der reichsgesetzlich verbotenen (also der Jesuiten) veröffentlicht.

Nach der Veröffentlichung des letzten „Aufhebungsgesetzes“ war im wesentlichen der status quo ante 1873 erreicht. Rom war es noch nicht gelungen, den status quo ante 1871 zu erreichen. Auch die diplomatischen Beziehungen waren in der Zwischenzeit wieder offiziell aufgenommen worden. So konnte der Papst am 23. Mai 1887 öffentlich erklären, daß die Beilegung des kirchlichen Kampfes erfolgt sei!

Rom konnte jubeln!

Kopp wurde zum Fürstbischof von Breslau ernannt. Am 24. Juni 1891 erfolgte die Auszahlung der ausstehenden Gelder für die Zeit des Sperrgesetzes. Also auch geldlich hatte Rom keine Schlappe erlitten!

Die Gleichgültigkeit des bürgerlichen und kaiserlichen Deutschland hatte dazu beigetragen, daß durch Verantwortungslosigkeit und geistige Trägheit ein schon fast gewonnener Kampf abgebrochen werden mußte und daß sich daraus eine Schlappe ergab!

Zwar hatte der Staat die Zivilehe erkämpft und die Herrschaft der Kirche über die Schule beendigt, aber er hatte Schritt für Schritt den teuer erkauften Boden wieder aufgeben müssen, weil das Volk noch nicht die geeigneten Vertreter hatte, die gewonnenen Stellungen auszubauen.

Nach der Beseitigung Bismarcks ging der katholische Vormarsch unaufhaltsam weiter.

Der Weltkrieg und besonders die Nachkriegszeit haben manchem Deutschen die Gefahr des von Rom mit unverminderter Heftigkeit geführten Kulturkampfes vor Augen geführt.

Deutschland kämpft für den romfreien Norden. Es steht in vorderster Front. Das ist eine seiner dringlichsten Aufgaben und sein Schicksal.

Was Bismarck nicht zu Ende führen konnte, das werden wir jungen der Nation als Erbe auf uns nehmen und nach Kräften zum glücklichen Ende führen.

Nicht aus Haß gegen katholische Volksgenossen, sondern aus Liebe zu unserer Nation, die nicht der Spielball überstaatlicher, romhöriger Mächte bleiben darf.

Wir sind nicht die barbarischen Angreifer einer römisch-christlichen Kultur, sondern Verteidiger unseres deutschen Volkes, das deutsch werden und bleiben soll.

 

 

 

 

 

 

 

Reichsverfassung 1871

 

!!! Werter Leser,
auf Grund der Urschrift Fraktur und Änderung in lateinische Schriftart wird es ihnen so vorkommen als wären viele Rechtschreibfehler in dem Text enthalten. Aber Fraktur kannte keine Umlaute und es handelt sich um alte Rechtschreibung. Wir haben alles so belassen ohne es auf die heutige Rechtschreibung anzupassen.

 

Bismarck-Verfassung (1871)
Gesetz betreffend die Verfassung des Deutschen Reiches
vom 16. April 1871*
(Reichsgesetzblatt 1871 S. 63)

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc. verordnen hiermit im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrathes und des Reichstages, was folgt:

§ 1. An die Stelle der zwischen dem Norddeutschen Bunde und den Großherzogthümern Baden und Hessen vereinbarten Verfassung des Deutschen Bundes (Bundesgesetzblatt vom Jahre 1870, S. 627 ff.), sowie der mit den Königreichen Bayern und Württemberg über den Beitritt zu dieser Verfassung geschlossenen Verträge vom 23. und 25. November 1870 (Bundesgesetzblatt vom Jahre 1871, S. 9 ff. und vom Jahre 1870, S. 654 ff.) tritt die beigefügte Verfassungs-Urkunde für das Deutsche Reich

§ 2. Die Bestimmungen in Artikel 80 der in § 1 gedachten Verfassung des Deutschen Bundes, unter III. § 8 des Vertrages mit Bayern vom 23. November 1870, in Artikel 2 Nr. 6 des Vertrages mit Württemberg vom 25. November 1870 über die Einführung der im Norddeutschen Bunde ergangenen Gesetze in diesen Staaten bleiben in Kraft. Die dort bezeichneten Gesetze sind Reichsgesetze. Wo in denselben von dem Norddeutschen Bunde, dessen Verfassung, Gebiet, Mitgliedern oder Staaten, Indigenat, verfassungsmäßigen Organen, Angehörigen, Beamten, Flagge usw. die Rede ist, sind das Deutsche Reich und dessen entsprechende Beziehungen zu verstehen. Dasselbe gilt von denjenigen im Norddeutschen Bunde ergangenen Gesetzen, welche in der Folge in einem der genannten Staaten eingeführt werden.

§ 3. Die Vereinbarungen in dem zu Versailles am 15. November 1870 aufgenommenen Protokolle (Bundesgesetzblatt vom Jahre 1870, S. 650 ff.), in der Verhandlung zu Berlin vom 25. November 1870 (Bundesgesetzblatt vom Jahre 1870, S. 657), dem Schlußprotokolle vom 23. November 1870 (Bundesgesetzblatt vom Jahre 1871, S. 23 ff.), sowie unter IV. des Vertrages mit Bayern vom 23. November 1870 (aaO. S. 21 ff.) werden durch dieses Gesetz nicht berührt.

 

Verfassung des Deutschen Reichs

Seine Majestät der König von Preußen im Namen des Norddeutschen Bundes, Seine Majestät der König von Bayern, Seine Majestät der König von Württemberg, Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Baden und Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen und bei Rhein für die südlich vom Main belegenen Theile des Großherzogtums Hessen, schließen einen ewigen Bund zum Schutze des Bundesgebietes und des innerhalb desselben gültigen Rechtes, sowie zur Pflege der Wohlfahrt des Deutschen Volkes. Dieser Bund wird den Namen Deutsches Reich führen und wird nachstehende Verfassung haben.

 

I. Bundesgebiet

Art. 1. Das Bundesgebiet besteht aus den Staaten Preußen mit Lauenburg, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Mecklenburg-Schwerin, Sachsen-Weimar, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Braunschweig, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Koburg-Gotha, Anhalt, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Waldeck, Reuß älterer Linie, Reuß jüngerer Linie, Schaumburg-Lippe, Lippe, Lübeck, Bremen und Hamburg.

 

II. Reichsgesetzgebung

Art. 2. Innerhalb dieses Bundesgebietes übt das Reich das Recht der Gesetzgebung nach Maßgabe des Inhalts dieser Verfassung und mit der Wirkung aus, daß die Reichsgesetze den Landesgesetzen vorgehen. Die Reichsgesetze erhalten ihre verbindliche Kraft durch ihre Verkündigung von Reichswegen, welche vermittelst eines Reichsgesetzblattes geschieht. Sofern nicht in dem publizirten Gesetze ein anderer Anfangstermin seiner verbindlichen Kraft bestimmt ist, beginnt die letztere mit dem vierzehnten Tage nach dem Ablauf desjenigen Tages, an welchem das betreffende Stück des Reichsgesetzblattes in Berlin ausgegeben worden ist.

Art. 3. Für ganz Deutschland besteht ein gemeinsames Indigenat mit der Wirkung, daß der Angehörige (Unterthan, Staatsbürger) eines jeden Bundesstaates in jedem anderen Bundesstaate als Inländer zu behandeln und demgemäß zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetriebe, zu öffentlichen Aemtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechts und zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in Betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln ist. Kein Deutscher darf in der Ausübung dieser Befugniß durch die Obrigkeit seiner Heimath, oder durch die Obrigkeit eines anderen Bundesstaates beschränkt werden. Diejenigen Bestimmungen, welche die Armenversorgung und die Aufnahme in den lokalen Gemeindeverband betreffen, werden durch den im ersten Absatz ausgesprochenen Grundsatz nicht berührt. Ebenso bleiben bis auf Weiteres die Verträge in Kraft, welche zwischen den einzelnen Bundesstaaten in Beziehung auf die Uebernahme von Auszuweisenden, die Verpflegung erkrankter und die Beerdigung verstorbener Staatsangehörigen bestehen. Hinsichtlich der Erfüllung der Militairpflicht im Verhältniß zu dem Heimathslande wird im Wege der Reichsgesetzgebung das Nöthige geordnet werden. Dem Auslande gegenüber haben alle Deutschen gleichmäßig Anspruch auf den Schutz des Reichs.

Art. 4. Der Beaufsichtigung Seitens des Reichs und der Gesetzgebung desselben unterliegen die nachstehenden Angelegenheiten:
die Bestimmungen über Freizügigkeit, Heimaths- und Niederlassungs-Verhältnisse, Staatsbürgerrecht, Paßwesen und Fremdenpolizei und über den Gewerbebetrieb, einschließlich des Versicherungswesens, soweit diese Gegenstände nicht schon durch den Artikel 3 dieser Verfassung erledigt sind, in Bayern jedoch mit Ausschluß der Heimaths- und Niederlassungs-Verhältnisse, desgleichen über die Kolonisation und die Auswanderung nach außerdeutschen Ländern;
die Zoll- und Handelsgesetzgebung und die für die Zwecke des Reichs zu verwendenden Steuern;
die Ordnung des Maaß-, Münz- und Gewichtssystems nebst Feststellung der Grundsätze über die Emission von fundirtem und unfundirtem Papiergelde;
die allgemeinen Bestimmungen über das Bankwesen;
die Erfindungspatente;
den Schutz des geistigen Eigenthums;
Organisation eines gemeinsamen Schutzes des deutschen Handels im Auslande, der Deutschen Schiffahrt und ihrer Flagge zur See und Anordnung gemeinsamer konsularischer Vertretung, welche vom Reiche ausgestattet wird;
das Eisenbahnwesen, in Bayern vorbehaltlich der Bestimmung in Artikel 46, und die Herstellung von Land- und Wasserstraßen im Interesse der Landesvertheidigung und des allgemeinen Verkehrs;
der Flößerei- und Schiffahrtsbetrieb auf den mehreren Staaten gemeinsamen Wasserstraßen und der Zustand der letzteren, sowie die Fluß- und sonstigen Wasserzölle;
das Post- und Telegraphenwesen, jedoch in Bayern und Württemberg nur nach Maßgabe der Bestimmung in Artikel 52;
Bestimmungen über die wechselseitige Vollstreckung von Erkenntnissen in Civilsachen und Erledigung von Requisitionen überhaupt;
sowie über die Beglaubigung von öffentlichen Urkunden;
die gemeinsame Gesetzgebung über das Obligationenrecht, Strafrecht, Handels- und Wechselrecht und das gerichtliche Verfahren;
das Militairwesen des Reichs und die Kriegsmarine;
Maßregeln der Medizinal- und Veterinairpolizei;
die Bestimmungen über die Presse und das Vereinswesen.

Art. 5. Die Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrath und den Reichstag. Die Uebereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen ist zu einem Reichsgesetze erforderlich und ausreichend.
Bei Gesetzesvorschlägen über das Militairwesen, die Kriegsmarine und die im Artikel 35 bezeichneten Abgaben giebt, wenn im Bundesrathe eine Meinungsverschiedenheit stattfindet, die Stimme des Präsidiums den Ausschlag, wenn sie sich für die Aufrechthaltung der bestehenden Einrichtungen ausspricht.

 

III. Bundesrath

Art. 6. Der Bundesrath besteht aus den Vertretern der Mitglieder des Bundes, unter welchen die Stimmführung sich in der Weise vertheilt, daß Preußen mit den ehemaligen Stimmen von Hannover, Kurhessen, Holstein, Nassau und Frankfurt 17 Stimmen führt, Bayern 6, Sachsen 4, Württemberg 4, Baden 3, Hessen 3, Mecklenburg-Schwerin 2, Sachsen-Weimar 1, Mecklenburg-Strelitz 1, Oldenburg 1, Braunschweig 2, Sachsen-Meiningen 1, Sachsen-Altenburg 1, Sachsen-Koburg-Gotha 1, Anhalt 1, Schwarzburg-Rudolstadt 1, Schwarzburg-Sondershausen 1, Waldeck 1, Reuß älterer Linie 1, Reuß jüngerer Linie 1, Schaumburg-Lippe 1, Lippe 1, Lübeck 1, Bremen 1, Hamburg 1, zusammen 58 Stimmen.

Jedes Mitglied des Bundes kann so viel Bevollmächtigte zum Bundesrathe ernennen, wie es Stimmen hat, doch kann die Gesammtheit der zuständigen Stimmen nur einheitlich abgegeben werden.

Art. 7. Der Bundesrath beschließt:

1) über die dem Reichstage zu machenden Vorlagen und die von demselben gefaßten Beschlüsse;
über die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen, sofern nicht durch Reichsgesetz etwas Anderes bestimmt ist;
3) über Mängel, welche bei der Ausführung der Reichsgesetze oder der vorstehend erwähnten Vorschriften oder Einrichtungen hervortreten.
Jedes Bundesglied ist befugt, Vorschläge zu machen und in Vortrag zu bringen, und das Präsidium ist verpflichtet, dieselben der Berathung zu übergeben.
Die Beschlußfassung erfolgt, vorbehaltlich der Bestimmungen in den Artikeln 5, 37 und 78, mit einfacher Mehrheit. Nicht vertretene oder nicht instruirte Stimmen werden nicht gezählt.
Bei Stimmengleichheit giebt die Präsidialstimme den Ausschlag.
Bei der Beschlußfassung über eine Angelegenheit, welche nach den Bestimmungen dieser Verfassung nicht dem ganzen Reiche gemeinschaftlich ist, werden die Stimmen nur derjenigen Bundesstaaten gezählt, welchen die Angelegenheit gemeinschaftlich ist.

Art. 8. Der Bundesrath bildet aus seiner Mitte dauernde Ausschüsse

1) für das Landheer und die Festungen;
2) für das Seewesen;
3) für das Zoll- und Steuerwesen;
4) für Handel und Verkehr;
5) für Eisenbahnen, Post und Telegraphen;
6) für Justizwesen;
7) für Rechnungswesen.

In jedem dieser Ausschüsse werden außer dem Präsidium mindestens vier Bundesstaaten vertreten sein, und führt innerhalb derselben jeder Staat nur Eine Stimme. In dem Ausschuß für das Landheer und die Festungen hat Bayern einen ständigen Sitz, die übrigen Mitglieder desselben, sowie die Mitglieder des Ausschusses für das Seewesen werden vom Kaiser ernannt; die Mitglieder der anderen Ausschüsse werden von dem Bundesrathe gewählt. Die Zusammensetzung dieser Ausschüsse ist für jede Session des Bundesrathes resp. mit jedem Jahre zu erneuern, wobei die ausscheidenden Mitglieder wieder wählbar sind. Außerdem wird im Bundesrathe aus den Bevollmächtigten der Königreiche Bayern, Sachsen und Württemberg und zwei, vom Bundesrathe alljährlich zu wählenden Bevollmächtigten anderer Bundesstaaten ein Ausschuß für die auswärtigen Angelegenheiten gebildet, in welchem Bayern den Vorsitz führt. Den Ausschüssen werden die zu ihren Arbeiten nöthigen Beamten zur Verfügung gestellt.

Art. 9. Jedes Mitglied des Bundesrathes hat das Recht, in Reichstage zu erscheinen und muß daselbst auf Verlangen jederzeit gehört werden, um die Ansichten seiner Regierung zu vertreten, auch dann, wenn dieselben von der Majorität des Bundesrathes nicht adoptirt worden sind. Niemand kann gleichzeitig Mitglied des Bundesrathes und des Reichstages sein.

Art. 10. Dem Kaiser liegt es ob, den Mitgliedern des Bundesrathes den üblichen diplomatischen Schutz zu gewähren.

 

IV. Präsidium

Art. 11. Das Präsidium des Bundes steht dem Könige von Preußen zu, welcher den Namen Deutscher Kaiser führt. Der Kaiser hat das Reich völkerrechtlich zu vertreten, im Namen des Reichs Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse und andere Verträge mit fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen. Zur Erklärung des Krieges im Namen des Reichs ist die Zustimmung des Bundesrathes erforderlich, es sei denn, daß ein Angriff auf das Bundesgebiet oder dessen Küsten erfolgt. Insoweit die Verträge mit fremden Staaten sich auf solche Gegenstände beziehen, welche nach Artikel 4 in den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören, ist zu ihrem Abschluß die Zustimmung des Bundesrathes und zu ihrer Gültigkeit die Genehmigung des Reichstages erforderlich.

Art. 12. Dem Kaiser steht es zu, den Bundesrath und den Reichstag zu berufen, zu eröffnen, zu vertagen und zu schließen.

Art. 13. Die Berufung des Bundesrathes und des Reichstages findet alljährlich statt und kann der Bundesrath zur Vorbereitung der Arbeiten ohne den Reichstag, letzterer aber nicht ohne den Bundesrath berufen werden.

Art. 14. Die Berufung des Bundesrathes muß erfolgen, sobald sie von einem Drittel der Stimmenzahl verlangt wird.

Art. 15. Der Vorsitz im Bundesrathe und die Leitung der Geschäfte steht dem Reichskanzler zu, welcher vom Kaiser zu ernennen ist.

Der Reichskanzler kann sich durch jedes andere Mitglied des Bundesrathes vermöge schriftlicher Substitution vertreten lassen.

Art. 16. Die erforderlichen Vorlagen werden nach Maßgabe der Beschlüsse des Bundesrathes im Namen des Kaisers an den Reichstag gebracht, wo sie durch Mitglieder des Bundesrathes oder durch besondere von letzterem zu ernennende Kommissarien vertreten werden.

Art. 17. Dem Kaiser steht die Ausfertigung und Verkündigung der Reichsgesetze und die Ueberwachung der Ausführung derselben zu. Die Anordnungen und Verfügungen des Kaisers werden im Namen des Reichs erlassen und bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt.

Art. 18. Der Kaiser ernennt die Reichsbeamten, läßt dieselben für das Reich vereidigen und verfügt erforderlichen Falles deren Entlassung.

Den zu einem Reichsamte berufenen Beamten eines Bundesstaates stehen, sofern nicht vor ihrem Eintritt in den Reichsdienst im Wege der Reichsgesetzgebung etwas Anderes bestimmt ist, dem Reiche gegenüber diejenigen Rechte zu, welche ihnen in ihrem Heimathslande aus ihrer dienstlichen Stellung zugestanden hatten.

Art. 19. Wenn Bundesglieder ihre verfassungsmäßigen Bundespflichten nicht erfüllen, können sie dazu im Wege der Exekution angehalten werden. Diese Exekution ist vom Bundesrathe zu beschließen und vom Kaiser zu vollstrecken.

 

V. Reichstag

Art. 20. Der Reichstag geht aus allgemeinen und direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor.
Bis zu der gesetzlichen Regelung, welche im § 5 des Wahlgesetzes vom 31. Mai 1869 (Bundesgesetzblatt 1869 S. 145) vorbehalten ist, werden in Bayern 48, in Württemberg 17, in Baden 14, in Hessen südlich des Main 6 Abgeordnete gewählt, und beträgt demnach die Gesammtzahl der Abgeordneten 382.

Art. 21. Beamte bedürfen keines Urlaubs zum Eintritt in den Reichstag.

Wenn ein Mitglied des Reichstages ein besoldetes Reichsamt oder in einem Bundesstaat ein besoldetes Staatsamt annimmt oder im Reichs- oder Staatsdienste in ein Amt eintritt, mit welchem ein höherer Rang oder ein höheres Gehalt verbunden ist, so verliert es Sitz und Stimme in dem Reichstag und kann seine Stelle in demselben nur durch neue Wahl wieder erlangen.

Art. 22. Die Verhandlungen des Reichstages sind öffentlich. Wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Reichstages bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei.

Art. 23. Der Reichstag hat das Recht, innerhalb der Kompetenz des Reichs Gesetze vorzuschlagen und an ihn gerichtete Petitionen dem Bundesrathe resp. Reichskanzler zu überweisen.

Art. 24. Die Legislaturperiode des Reichstages dauert drei Jahre. Zur Auflösung des Reichstages während derselben ist ein Beschluß des Bundesrathes unter Zustimmung des Kaisers erforderlich.

Art. 25. Im Falle der Auflösung des Reichstages müssen innerhalb eines Zeitraumes von 60 Tagen nach derselben die Wähler und innerhalb eines Zeitraumes von 90 Tagen nach der Auflösung der Reichstag versammelt werden.

Art. 26. Ohne Zustimmung des Reichstages darf die Vertagung desselben die Frist von 30 Tagen nicht übersteigen und während derselben Session nicht wiederholt werden.

Art. 27. Der Reichstag prüft die Legitimation seiner Mitglieder und entscheidet darüber. Er regelt seinen Geschäftsgang und seine Disziplin durch eine Geschäfts-Ordnung und erwählt seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten und Schriftführer.

Art. 28. Der Reichstag beschließt nach absoluter Stimmenmehrheit. Zur Gültigkeit der Beschlußfassung ist die Anwesenheit der Mehrheit der gesetzlichen Anzahl der Mitglieder erforderlich. Bei der Beschlußfassung über eine Angelegenheit, welche nach den Bestimmungen dieser Verfassung nicht dem ganzen Reiche gemeinschaftlich ist, werden die Stimmen nur derjenigen Mitglieder gezählt, die in Bundesstaaten gewählt sind, welchen die Angelegenheit gemeinschaftlich ist.

Art. 29. Die Mitglieder des Reichstages sind Vertreter des gesammten Volkes und an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden.

Art. 30. Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgend einer Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufes gethanen Aeußerungen gerichtlich oder disziplinarisch verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden.

Art. 31. Ohne Genehmigung des Reichstages kann kein Mitglied desselben während der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, außer wenn es bei Ausübung der That oder im Laufe des nächstfolgenden Tages ergriffen wird.
Gleiche Genehmigung ist bei einer Verhaftung wegen Schulden erforderlich.
Auf Verlangen des Reichstages wird jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied desselben und jede Untersuchungs- oder Civilhaft für die Dauer der Sitzungsperiode aufgehoben.

Art. 32. Die Mitglieder des Reichstages dürfen als solche keine Besoldung (oder Entschädigung) beziehen.

 

VI. Zoll- und Handelswesen

Art. 33. Deutschland bildet ein Zoll- und Handelsgebiet, umgeben von gemeinschaftlicher Zollgrenze. Ausgeschlossen bleiben die wegen ihrer Lage zur Einschließung in die Zollgrenze nicht geeigneten einzelnen Gebietstheile.
Alle Gegenstände, welche im freien Verkehr eines Bundesstaates befindlich sind, können in jeden anderen Bundesstaat eingeführt und dürfen in letzterem einer Abgabe nur insoweit unterworfen werden, als daselbst gleichartige inländische Erzeugnisse einer inneren Steuer unterliegen.

Art. 34. Die Hansestädte Bremen und Hamburg mit einem dem Zweck entsprechenden Bezirke ihres oder des umliegenden Gebietes bleiben als Freihäfen außerhalb der gemeinschaftlichen Zollgrenze, bis sie ihren Einschluß in dieselbe beantragen.

Art. 35. Das Reich ausschließlich hat die Gesetzgebung über das gesammte Zollwesen, über die Besteuerung des im Bundesgebiete gewonnenen Salzes und Tabacks, bereiteten Branntweins und Bieres und aus Rüben oder anderen inländischen Erzeugnissen dargestellten Zuckers und Syrups, über den gegenseitigen Schutz der in den einzelnen Bundesstaaten erhobenen Verbrauchsabgaben gegen Hinterziehungen, sowie über die Maßregeln, welche in den Zollausschlüssen zur Sicherung der gemeinsamen Zollgrenze erforderlich sind.

In Bayern, Württemberg und Baden bleibt die Besteuerung des inländischen Branntweins und Bieres der Landesgesetzgebung vorbehalten. Die Bundesstaaten werden jedoch ihr Bestreben darauf richten, eine Uebereinstimmung der Gesetzgebung über die Besteuerung auch dieser Gegenstände herbeizuführen.

Art. 36. Die Erhebung und Verwaltung der Zölle und Verbrauchssteuern (Art. 35) bleibt jedem Bundesstaate, soweit derselbe sie bisher ausgeübt hat, innerhalb seines Gebietes überlassen.

Der Kaiser überwacht die Einhaltung des gesetzlichen Verfahrens durch Reichsbeamte, welche er den Zoll- oder Steuerämtern und den Direktivbehörden der einzelnen Staaten, nach Vernehmung des Ausschusses des Bundesrathes für Zoll- und Steuerwesen, beigeordnet. Die von diesen Beamten über Mängel bei der Ausführung der gemeinschaftlichen Gesetzgebung (Art. 35) gemachten Anzeigen werden dem Bundesrathe zur Beschlußnahme vorgelegt.

Art. 37. Bei der Beschlußnahme über die zur Ausführung der gemeinschaftlichen Gesetzgebung (Art. 35) dienenden Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen giebt die Stimme des Präsidiums alsdann den Ausschlag, wenn sie sich für Aufrechthaltung der bestehenden Vorschrift oder Einrichtung ausspricht.

Art. 38. Der Ertrag der Zölle und der anderen in Artikel 35 bezeichneten Abgaben, letzterer soweit sie der Reichsgesetzgebung unterliegen, fließt in die Reichskasse. Dieser Ertrag besteht aus der gesammten von den Zöllen und den übrigen Abgaben aufgekommenen Einnahme nach Abzug:

1) der auf Gesetzen oder allgemeinen Verwaltungsvorschriften beruhenden Steuervergütungen und Ermäßigungen,
2) der Rückerstattungen für unrichtige Erhebungen,
3) der Erhebungs- und Verwaltungskosten, und zwar:
a) bei den Zöllen der Kosten, welche an den gegen das Ausland gelegenen Grenzen und in dem Grenzbezirke für den Schutz und die Erhebung der Zölle erforderlich sind,
b) bei der Salzsteuer der Kosten, welche zur Besoldung der mit Erhebung und Kontrolirung dieser Steuer auf den Salzwerken beauftragten Beamten aufgewendet werden,
c) bei der Rübenzuckersteuer und Tabacksteuer der Vergütung, welche nach den jeweiligen Beschlüssen des Bundesrathes den einzelnen Bundesregierungen für die Kosten der Verwaltung dieser Steuern zu gewähren ist,
d) bei den übrigen Steuern mit fünfzehn Prozent der Gesammteinnahme.
Die außerhalb der gemeinschaftlichen Zollgrenze liegenden Gebiete tragen zu den Ausgaben des Reichs durch Zahlung eines Aversums bei.
Bayern, Württemberg und Baden haben an dem in die Reichskasse fließenden Ertrage der Steuern von Branntwein und Bier und an dem diesem Ertrage entsprechenden Theile des vorstehend erwähnten Aversums keinen Theil.

Art. 39. Die von den Erhebungsbehörden der Bundesstaaten nach Ablauf eines jeden Vierteljahres aufzustellenden Quartal-Extrakte und die nach dem Jahres- und Bücherschlusse aufzustellenden Finalabschlüsse über die im Laufe des Vierteljahres beziehungsweise während des Rechnungsjahres fällig gewordenen Einnahmen an Zöllen und nach Artikel 38 zur Reichskasse fließenden Verbrauchsabgaben werden von den Direktivbehörden der Bundesstaaten, nach vorangegangener Prüfung, in Hauptübersichten zusammengestellt, in welchen jede Abgabe gesondert nachzuweisen ist, und es werden diese Uebersichten an den Ausschuß des Bundesrathes für das Rechnungsjahr eingesandt.
Der letztere stellt auf Grund dieser Uebersichten von drei zu drei Monaten den von der Kasse jedes Bundesstaates der Reichskasse schuldigen Betrag vorläufig fest und setzt von dieser Feststellung den Bundesrath und die Bundesstaaten in Kenntniß, legt auch alljährlich die schließliche Feststellung jener Beträge mit seinen Bemerkungen dem Bundesrathe vor. Der Bundesrath beschließt über diese Feststellung.

Art. 40. Die Bestimmungen in dem Zollvereinigungsvertrage vom 8. Juli 1867 bleiben in Kraft, soweit sie nicht durch die Vorschriften dieser Verfassung abgeändert sind und so lange sie nicht auf dem im Artikel 7, beziehungsweise 78 bezeichneten Wege abgeändert werden.

 

VII. Eisenbahnwesen

Art. 41. Eisenbahnen, welche im Interesse der Vertheidigung Deutschlands oder im Interesse des gemeinsamen Verkehrs für nothwendig erachtet werden, können kraft eines Reichsgesetzes auch gegen den Widerspruch der Bundesglieder, deren Gebiet die Eisenbahnen durchschneiden, unbeschadet der Landeshoheitsrechte, für Rechnung des Reichs angelegt oder an Privatunternehmer zur Ausführung konzessionirt und mit dem Expropriationsrechte ausgestattet werden.

Jede bestehende Eisenbahnverwaltung ist verpflichtet, sich den Anschluß neu angelegter Eisenbahnen auf Kosten der letzteren gefallen zu lassen.

Die gesetzlichen Bestimmungen, welche bestehenden Eisenbahn-Unternehmungen ein Widerspruchsrecht gegen die Anlegung von Parallel- oder Konkurrenzbahnen einräumen, werden, unbeschadet bereits erworbener Rechte, für das ganze Reich hierdurch aufgehoben. Ein solches Widerspruchsrecht kann auch in den künftig zu ertheilenden Konzessionen nicht weiter verliehen werden.

Art. 42. Die Bundesregierungen verpflichten sich, die Deutschen Eisenbahnen im Interesse des allgemeinen Verkehrs wie ein einheitliches Netz verwalten und zu diesem Behuf auch die neu herzustellenden Bahnen nach einheitlichen Normen anlegen und ausrüsten zu lassen.

Art. 43. Es sollen demgemäß in thunlichster Beschleunigung übereinstimmende Betriebseinrichtungen getroffen, insbesondere gleiche Bahnpolizei-Reglements eingeführt werden. Das Reich hat dafür Sorge zu tragen, daß die Eisenbahnverwaltungen die Bahnen jederzeit in einem die nöthige Sicherheit gewährenden baulichen Zustande erhalten und dieselben mit Betriebsmaterial so ausrüsten, wie das Verkehrsbedürfniß es erheischt.

Art. 44. Die Eisenbahnverwaltungen sind verpflichtet, die für den durchgehenden Verkehr und zur Herstellung ineinander greifender Fahrpläne nöthigen Personenzüge mit entsprechender Fahrgeschwindigkeit, desgleichen die zur Bewältigung des Güterverkehrs nöthigen Güterzüge einzuführen, auch direkte Expeditionen im Personen- und Güterverkehr, unter Gestattung des Ueberganges der Transportmittel von einer Bahn auf die andere, gegen die übliche Vergütung einzurichten.

Art. 45. Dem Reiche steht die Kontrolle über das Tarifwesen zu. Dasselbe wird namentlich dahin wirken:

1) daß baldigst auf allen Deutschen Eisenbahnen übereinstimmende Betriebsreglements eingeführt werden;
2) daß die möglichste Gleichmäßigkeit und Herabsetzung der Tarife erzielt, insbesondere, daß bei größeren Entfernungen für den Transport von Kohlen, Koaks, Holz, Erzen, Steinen, Salz, Roheisen, Düngemitteln und ähnlichen Gegenständen ein dem Bedürfniß der Landwirthschaft und Industrie entsprechender ermäßigter Tarif, und zwar zunächst thunlichst der Einpfennig-Tarif eingeführt werde.

Art. 46. Bei eintretenden Nothständen, insbesondere bei ungewöhnlicher Theuerung der Lebensmittel, sind die Eisenbahnverwaltungen verpflichtet, für den Transport, namentlich von Getreide, Mehl, Hülsenfrüchten und Kartoffeln, zeitweise einem dem Bedürfniß entsprechenden, von dem Kaiser auf Vorschlag des betreffenden Bundesraths-Ausschusses festzustellenden, niedrigen Spezialtarif einzuführen, welcher jedoch nicht unter den niedrigsten auf der betreffenden Bahn für Rohprodukte geltenden Satz herabgehen darf.

Die vorstehend, sowie die in den Artikeln 42 bis 45 getroffenen Bestimmungen sind auf Bayern nicht anwendbar.
Dem Reiche steht jedoch auch Bayern gegenüber das Recht zu, im Wege der Gesetzgebung einheitliche Normen für die Konstruktion und Ausrüstung der für die Landesvertheidigung wichtigen Eisenbahnen aufzustellen.

Art. 47. Den Anforderungen der Behörden des Reichs in Betreff der Benutzung der Eisenbahnen zum Zwecke der Vertheidigung Deutschlands haben sämmtliche Eisenbahnverwaltungen unweigerlich Folge zu leisten. Insbesondere ist das Militair und alles Kriegsmaterial zu gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern.

 

VIII. Post- und Telegraphenwesen

Art. 48. Das Postwesen und das Telegraphenwesen werden für das gesammte Gebiet des Deutschen Reichs als einheitliche Staatsverkehrs-Anstalten eingerichtet und verwaltet.
Die im Artikel 4 vorgesehene Gesetzgebung des Reichs in Post- und Telegraphen-Angelegenheiten erstreckt sich nicht auf diejenigen Gegenstände, deren Regelung nach den in der Norddeutschen Post- und Telegraphen-Verwaltung maßgebend gewesenen Grundsätzen der reglementarischen Festsetzung oder administrativen Anordnung überlassen ist.

Art. 49. Die Einnahmen des Post- und Telegraphenwesens sind für das ganze Reich gemeinschaftlich. Die Ausgaben werden aus den gemeinschaftlichen Einnahmen bestritten. Die Ueberschüsse fließen in die Reichskasse (Abschnitt XII).

Art. 50. Dem Kaiser gehört die obere Leitung der Post- und Telegraphenverwaltung an. Die von ihm bestellten Behörden haben die Pflicht und das Recht, dafür zu sorgen, daß Einheit in der Organisation der Verwaltung und im Betriebe des Dienstes, sowie in der Qualifikation der Beamten hergestellt und erhalten wird.
Dem Kaiser steht der Erlaß der reglementarischen Festsetzungen und allgemeinen administrativen Anordnungen, sowie die ausschließliche Wahrnehmung der Beziehungen zu anderen Post- und Telegraphenver- waltungen zu.
Sämmtliche Beamte der Post- und Telegraphenverwaltung sind daher verpflichtet, den Kaiserlichen Anordnungen Folge zu leisten. Diese Verpflichtung ist in den Diensteid aufzunehmen. Die Anstellung der bei den Verwaltungsbehörden der Post und Telegraphie in den verschiedenen Bezirken erforderlichen oberen Beamten (z. B. der Direktoren, Räthe, Ober-Inspektoren), ferner die Anstellung der zur Wahrnehmung des Aufsichts- u.s.w. Dienstes in den einzelnen Bezirken als Organe der erwähnten Behörden fungirenden Post- und Telegraphenbeamten (z. B. Inspektoren, Kontroleure) geht für das ganze Gebiet des deutschen Reichs vom Kaiser aus, welchem diese Beamten den Diensteid leisten. Den einzelnen Landesregierungen wird von den in Rede stehenden Ernennungen, soweit dieselben ihre Gebiete betreffen, Behufs der landesherrlichen Bestätigung und Publikation rechtzeitig Mittheilung gemacht werden. Die anderen bei den Verwaltungs- behörden der Post und Telegraphie erforderlichen Beamten, sowie alle für den lokalen und technischen Betrieb bestimmten, mithin bei den eigentlichen Betriebsstellen fungirenden Beamten u.s.w. werden von den betreffenden Landesregierungen angestellt. Wo eine selbständige Landespost- resp. Telegraphenverwaltung nicht besteht, entscheiden die Bestimmungen der besonderen Verträge.

Art. 51. Bei Ueberweisung des Ueberschusses der Postverwaltung für allgemeine Reichszwecke (Art. 49) soll, in Betracht der bisherigen Verschiedenheit der von den Landes-Postverwaltungen der einzelnen Gebiete erzielten Reineinnahmen, zum Zwecke einer entsprechenden Ausgleichung während der unten festgesetzten Uebergangszeit folgendes Verfahren beobachtet werden.
Aus den Postüberschüssen, welche in den einzelnen Postbezirken während der fünf Jahre 1861 bis 1865 aufgekommen sind, wird ein durchschnittlicher Jahresüberschuß berechnet, und der Antheil, welchen jeder einzelne Postbezirk an dem für das gesammte Gebiet des Reichs sich darnach herausstellenden Postüberschusse gehabt hat, nach Prozenten festgestellt.
Nach Maßgabe des auf diese Weise festgestellten Verhältnisses werden den einzelnen Staaten während der auf ihren Eintritt in die Reichs-Postverwaltung folgenden acht Jahre die sich für sie aus den im Reiche aufkommenden Postüberschüssen ergebenden Quoten auf ihre sonstigen Beiträge zu Reichszwecken zu Gute gerechnet.
Nach Ablauf der acht Jahre hört jene Unterscheidung auf, und fließen die Postüberschüsse in ungetheilter Aufrechnung nach dem im Artikel 49 enthaltenen Grundsatz der Reichkasse zu. Von der während der vorbedachten acht Jahre für die Hansestädte sich herausstellenden Quote des Postüberschusses wird alljährlich vorweg die Hälfte dem Kaiser zur Disposition gestellt zu dem Zwecke, daraus zunächst die Kosten für die Herstellung normaler Posteinrichtungen in den Hansestädten zu bestreiten.

Art. 52. Die Bestimmungen in den vorstehenden Artikeln 48 bis 51 finden auf Bayern und Württemberg keine Anwendung. An ihrer Stelle gelten für beide Bundesstaaten folgende Bestimmungen.
Dem Reiche ausschließlich steht die Gesetzgebung über die Vorrechte der Post und Telegraphie, über die rechtlichen Verhältnisse beider Anstalten zum Publikum, über die Portofreiheiten und das Posttaxwesen, jedoch ausschließlich der reglementarischen und Tarif-Bestimmungen für den internen Verkehr innerhalb Bayerns, beziehungsweise Württembergs, sowie, unter gleicher Beschränkung, die Feststellung der Gebühren für die telegraphische Korrespondenz zu.
Ebenso steht dem Reiche die Regelung des Post- und Telegraphenverkehrs mit dem Auslande zu, ausgenommen den eigenen unmittelbaren Verkehr Bayerns, beziehungsweise Württembergs mit seinen dem Reiche nicht angehörenden Nachbarstaaten, wegen dessen Regelung es bei der Bestimmung im Artikel 49 des Postvertrages vom 23. November 1867 bewendet. An den zur Reichskasse fließenden Einnahmen des Post- und Telegraphenwesens haben Bayern und Württemberg keinen Theil.

 

IX. Marine und Schiffahrt

Art. 53. Die Kriegsmarine des Reichs ist eine einheitliche unter dem Oberbefehl des Kaisers. Die Organisation und Zusammensetzung derselben liegt dem Kaiser ob, welcher die Offiziere und Beamten der Marine ernennt, und für welchen dieselben nebst den Mannschaften eidlich in Pflicht zu nehmen sind.
Der Kieler Hafen und der Jadehafen sind Reichskriegshäfen.
Der zur Gründung und Erhaltung der Kriegsflotte und der damit zusammenhängenden Anstalten erforderliche Aufwand wird aus der Reichskasse bestritten.
Die gesammte seemännische Bevölkerung des Reichs, einschließlich des Maschinenpersonals und der Schiffshandwerker, ist vom Dienste im Landheere befreit, dagegen zum Dienste in der Kaiserlichen Marine verpflichtet.
Die Vertheilung des Ersatzbedarfes findet nach Maßgabe der vorhandenen seemännischen Bevölkerung statt, und die hiernach von jedem Staate gestellte Quote kommt auf die Gestellung zum Landheere in Abrechnung.

Art. 54. Die Kauffahrteischiffe aller Bundesstaaten bilden eine einheitliche Handelsmarine.
Das Reich hat das Verfahren zur Ermittelung der Ladungsfähigkeit der Seeschiffe zu bestimmen, die Ausstellung der Meßbriefe, sowie der Schiffscertifikate zu regeln und die Bedingungen festzustellen, von welchen die Erlaubniß zur Führung eines Seeschiffes abhängig ist.
In den Seehäfen und auf allen natürlichen und künstlichen Wasserstraßen der einzelnen Bundesstaaten werden die Kauffahrteischiffe sämmtlicher Bundesstaaten gleichmäßig zugelassen und behandelt. Die Abgaben, welche in den Seehäfen von den Seeschiffen oder deren Ladungen für die Benutzung der Schiffahrtsanstalten erhoben werden, dürfen die zur Unterhaltung und gewöhnlichen Herstellung dieser Anstalten erforderlichen Kosten nicht übersteigen.
Auf allen natürlichen Wasserstraßen dürfen Abgaben nur für die Benutzung besonderer Anstalten, die zur Erleichterung des Verkehrs bestimmt sind, erhoben werden. Diese Abgaben, sowie die Abgaben für die Befahrung solcher künstlichen Wasserstraßen, welche Staatseigenthum sind, dürfen die zur Unterhaltung und gewöhnlichen Herstellung der Anstalten und Anlagen erforderlichen Kosten nicht übersteigen. Auf die Flößerei finden diese Bestimmungen insoweit Anwendung, als dieselbe auf schiffbaren Wasserstraßen betrieben wird.
Auf fremde Schiffe oder deren Ladungen andere oder höhere Abgaben zu legen, als von den Schiffen der Bundesstaaten oder deren Ladungen zu entrichten sind, steht keinem Einzelstaate, sondern nur dem Reiche zu.

Art. 55. Die Flagge der Kriegs- und Handelsmarine ist schwarz-weiß-roth.

 

X. Konsulatwesen

Art. 56. Das gesammte Konsulatwesen des Deutschen Reichs steht unter der Aufsicht des Kaisers, welcher die Konsuln, nach Vernehmung des Ausschusses des Bundesrathes für Handel und Verkehr, anstellt.
In dem Amtsbezirk der deutschen Konsuln dürfen neue Landeskonsulate nicht errichtet werden. Die Deutschen Konsuln üben für die in ihrem Bezirk nicht vertretenden Bundesstaaten die Funktionen eines Landeskonsuls aus. Die sämmtlichen bestehenden Landeskonsulate werden aufgehoben, sobald die Organisation der Deutschen Konsulate dergestalt vollendet ist, daß die Vertretung der Einzelinteressen aller Bundesstaaten als durch die Deutschen Konsulate gesichert von dem Bundesrathe anerkannt wird.

 

XI. Reichskriegswesen

Art. 57. Jeder Deutsche ist wehrpflichtig und kann sich in Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen.

Art. 58. Die Kosten und Lasten des gesammten Kriegswesens des Reiches sind von allen Bundesstaaten und ihren Angehörigen gleichmäßig zu tragen, so daß weder Bevorzugungen, noch Prägravationen einzelner Staaten oder Klassen grundsätzlich zulässig sind. Wo die gleiche Vertheilung der Lasten sich in natura nicht herstellen läßt, ohne die öffentliche Wohlfahrt zu schädigen, ist die Ausgleichung nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit im Wege der Gesetzgebung festzustellen.

Art. 59. Jeder wehrfähige Deutsche gehört sieben Jahre lang, in der Regel vom vollendeten 20. bis zum beginnenden 28. Lebensjahre, dem stehenden Heere – und zwar die ersten drei Jahre bei den Fahnen, die letzten vier Jahre in der Reserve – und die folgenden fünf Lebensjahre der Landwehr an. In denjenigen Bundesstaaten, in denen bisher eine längere als zwölfjährige Gesammtdienstzeit gesetzlich war, findet die allmähliche Herabsetzung der Verpflichtung nur in dem Maaße statt, als dies die Rücksicht auf die Kriegsbereitschaft des Reichsheeres zuläßt.
In Bezug auf die Auswanderung der Reservisten sollen lediglich diejenigen Bestimmungen maßgebend sein, welche für die Auswanderung der Landwehrmänner gelten.

Art. 60. Die Friedens-Präsenzstärke des Deutschen Heeres wird bis zum 31. Dezember 1871 auf Ein Prozent der Bevölkerung von 1871 normirt, und wird pro rata derselben von den einzelnen Bundesstaaten gestellt. Für die spätere Zeit wird die Friedens-Präsenzstärke des Heeres im Wege der Reichsgesetzgebung festgestellt.

Art. 61. Nach Publikation dieser Verfassung ist in dem ganzen Reiche die gesammte Preußische Militairgesetzgebung ungesäumt einzuführen, sowohl die Gesetze selbst, als die zu ihrer Ausführung, Erläuterung oder Ergänzung erlassenen Reglements, Instruktionen und Reskripte, namentlich also das Militair-Strafgesetzbuch vom 3. April 1845, die Militair-Strafgerichtsordnung vom 3. April 1845, die Verordnung über die Ehrengerichte vom 20. Juli 1843, die Bestimmungen über Aushebung, Dienstzeit, Servis- und Verpflegungswesen, Einquartierung, Ersatz von Flurbeschädigungen, Mobilmachung u.s.w. für Krieg und Frieden. Die Militair-Kirchenordnung ist jedoch ausgeschlossen.
Nach gleichmäßiger Durchführung der Kriegsorganisation des Deutschen Heeres wird ein umfassendes Reichs-Militairgesetz dem Reichstage und dem Bundesrathe zur verfassungsmäßigen Beschlußfassung vorgelegt werden.

Art. 62. Zur Bestreitung des Aufwandes für das gesammte Deutsche Heer und die zu demselben gehörigen Einrichtungen sind bis zum 31. Dezember 1871 dem Kaiser jährlich sovielmal 225 Thaler, als die Kopfzahl der Friedensstärke des Heeres nach Artikel 60 beträgt, zur Verfügung zu stellen. Vergl. Abschnitt XII.
Nach dem 31. Dezember 1871 müssen die Beiträge von den einzelnen Staaten des Bundes zur Reichskasse fortgezahlt werden. Zur Berechnung derselben wird die im Artikel 60 interimistisch festgestellte Friedens-Präsenzstärke so lange festgehalten, bis sie durch ein Reichsgesetz abgeändert ist.
Die Verausgabung dieser Summe für das gesammte Reichsheer und dessen Einrichtungen wird durch das Etatsgesetz festgestellt.
Bei der Feststellung des Militair-Ausgabe-Etats wird die auf Grundlage dieser Verfassung gesetzlich feststehende Organisation des Reichsheeres zu Grunde gelegt.

Art. 63. Die gesammte Landmacht des Reichs wird ein einheitliches Heer bilden, welches in Krieg und Frieden unter dem Befehle des Kaisers steht.
Die Regimenter etc. führen fortlaufende Nummern durch das ganze Deutsche Heer. Für die Bekleidung sind die Grundfarben und der Schnitt der Königlich Preußischen Armee maßgebend. Dem betreffenden Kontingentsherrn bleibt es überlassen, die äußeren Abzeichen (Kokarden etc.) zu bestimmen.

Der Kaiser hat die Pflicht und das Recht, dafür Sorge zu tragen, daß innerhalb des Deutschen Heeres alle Truppentheile vollzählig und kriegstüchtig vorhanden sind und daß Einheit in der Organisation und Formation, in Bewaffnung und Kommando, in der Ausbildung der Mannschaften sowie in der Qualifikation der Offiziere hergestellt und erhalten wird. Zu diesem Behufe ist der Kaiser berechtigt, sich jederzeit durch Inspektionen von der Verfassung der einzelnen Kontingente zu überzeugen und die Abstellung der dabei vorgefundenen Mängel anzuordnen.
Der Kaiser bestimmt den Präsenzstand, die Gliederung und Eintheilung der Kontingente des Reichsheeres, sowie die Organisation der Landwehr, und hat das Recht, innerhalb des Bundesgebietes die Garnisonen zu bestimmen, sowie die kriegsbereite Aufstellung eines jeden Theils des Reichsheeres anzuordnen.
Behufs Erhaltung der unentbehrlichen Einheit in der Administration, Verpflegung, Bewaffnung und Ausrüstung aller Truppentheile des Deutschen Heeres sind die bezüglichen künftig ergehenden Anordnungen für die Preußische Armee den Kommandeuren der übrigen Kontingente, durch den Artikel 8 Nr. 1 bezeichneten Ausschuß für das Landheer und die Festungen zur Nachahmung in geeigneter Weise mitzutheilen.

Art. 64. Alle Deutsche Truppen sind verpflichtet, den Befehlen des Kaisers unbedingte Folge zu leisten. Diese Verpflichtung ist in den Fahneneid aufzunehmen.
Der Höchstkommandirende eines Kontingents, sowie alle Offiziere, welche Truppen mehr als eines Kontingents befehligen, und alle Festungskommandanten werden von dem Kaiser ernannt. Die von Demselben ernannten Offiziere leisten Ihm den Fahneneid. Bei Generalen und den Generalstellungen versehenden Offizieren innerhalb des Kontingents ist die Ernennung von der jedesmaligen Zustimmung des Kaisers abhängig zu machen.
Der Kaiser ist berechtigt, Behufs Versetzung mit oder ohne Beförderung für die von Ihm im Reichsdienste, sei es im Preußischen Heere, oder in anderen Kontingenten zu besetzenden Stellen aus den Offizieren aller Kontingente des Reichsheeres zu wählen.

Art. 65. Das Recht, Festungen innerhalb des Bundesgebietes anzulegen, steht dem Kaiser zu, welcher die Bewilligung der dazu erforderlichen Mittel, soweit das Ordinarium sie nicht gewährt, nach Abschnitt XII beantragt.

Art. 66. Wo nicht besondere Konventionen ein Anderes bestimmen, ernennen die Bundesfürsten, beziehentlich die Senate die Offiziere ihrer Kontingente, mit der Einschränkung des Artikels 64. Sie sind Chefs aller ihren Gebieten angehörenden Truppentheile und genießen die damit verbundenen Ehren. Sie haben namentlich das Recht der Inspizirung zu jeder Zeit und erhalten, außer den regelmäßigen Rapporten und Meldungen über vorkommende Veränderungen, Behufs der nöthigen landesherrlichen Publikation, rechtzeitige Mittheilung von den die betreffenden Truppentheile berührenden Avancements und Ernennungen.

Auch steht ihnen das Recht zu, zu polizeilichen Zwecken nicht blos ihre eigenen Truppen zu verwenden, sondern auch alle anderen Truppentheile des Reichsheeres, welche in ihren Ländergebieten dislocirt sind, zu requiriren.

Art. 67. Ersparnisse an dem Militair-Etat fallen unter keinen Umständen einer einzelnen Regierung, sondern jederzeit der Reichskasse zu.

Art. 68. Der Kaiser kann, wenn die öffentliche Sicherheit in dem Bundesgebiete bedroht ist, einen jeden Theil desselben in Kriegszustand erklären. Bis zum Erlaß eines die Voraussetzungen, die Form der Verkündigung und die Wirkungen einer solchen Erklärung regelnden Reichsgesetzes gelten dafür die Vorschriften des Preußischen Gesetzes vom 4. Juni 1851 (Gesetz-Samml. für 1851 S. 451 ff.).

 

Schlußbestimmung zum XI. Abschnitt

Die in diesem Abschnitt enthaltenen Vorschriften kommen in Bayern nach näherer Bestimmung des Bündnißvertrages vom 23. November 1870 (Bundesgesetzblatt 1871, S. 9) unter III. § 5, in Württemberg nach näherer Bestimmung der Militairkonvention vom 21./25. November 1870 (Bundesgesetzblatt 1870, S. 658) zur Anwendung.

 

XII. Reichsfinanzen

Art. 69. Alle Einnahmen und Ausgaben des Reichs müssen für jedes Jahr veranschlagt und auf den Reichshaushalts-Etat gebracht werden. Letzterer wird vor Beginn des Etatjahres nach folgenden Grundsätzen durch ein Gesetz festgestellt.

Art. 70. Zur Bestreitung aller gemeinschaftlichen Ausgaben dienen zunächst die etwaigen Ueberschüsse der Vorjahre, sowie die aus den Zöllen, den gemeinschaftlichen Verbrauchssteuern und aus dem Post- und Telegraphenwesen fließenden gemeinschaftlichen Einnahmen. Insoweit dieselben durch diese Einnahmen nicht gedeckt werden, sind sie, so lange Reichssteuern nicht eingeführt sind, durch Beiträge der einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung aufzubringen, welche bis zur Höhe des budgetmäßigen Betrages durch den Reichskanzler ausgeschrieben werden.

Art. 71. Die gemeinschaftlichen Ausgaben werden in der Regel für ein Jahr bewilligt, können jedoch in besonderen Fällen auch für eine längere Dauer bewilligt werden.
Während der im Artikel 60 normirten Uebergangszeit ist der nach Titeln geordnete Etat über die Ausgaben für das Heer dem Bundesrathe und dem Reichstage nur zur Kenntnißnahme und zur Erinnerung vorzulegen.

Art. 72. Ueber die Verwendung aller Einnahmen des Reichs ist durch den Reichskanzler dem Bundesrathe und dem Reichstage zur Entlastung jährlich Rechnung zu legen.

Art. 73. In Fällen eines außerordentlichen Bedürfnisses kann im Wege der Reichsgesetzgebung die Aufnahme einer Anleihe, sowie die Uebernahme einer Garantie zu Lasten des Reichs erfolgen.

 

Schlußbestimmung zum XII. Abschnitt

Auf die Ausgaben für das Bayerische Heer finden die Artikel 69 und 71 nur nach Maßgabe der in der Schlußbestimmung zum XI. Abschnitt erwähnten Bestimmungen des Vertrages vom 23. November 1870 und der Artikel 72 nur insoweit Anwendung, als dem Bundesrathe und dem Reichstage die Ueberweisung der für das Bayerische Heer erforderlichen Summe an Bayern nachzuweisen ist.

 

XIII. Schlichtung von Streitigkeiten und Strafbestimmungen

Art. 74. Jedes Unternehmen gegen die Existenz, die Integrität, die Sicherheit oder die Verfassung des Deutschen Reichs, endlich die Beleidigung des Bundesrathes, des Reichstages, eines Mitgliedes des Bundesrathes oder des Reichstages, einer Behörde oder eines öffentlichen Beamten des Reichs, während dieselben in der Ausübung ihres Berufes begriffen sind oder in Beziehung auf ihren Beruf, durch Wort, Schrift, Druck, Zeichen, bildliche oder andere Darstellung, werden in den einzelnen Bundesstaaten beurtheilt und bestraft nach Maßgabe der in den letzteren bestehenden oder künftig in Wirksamkeit tretenden Gesetze, nach welchen eine gleiche gegen den einzelnen Bundesstaat, seine Verfassung, seine Kammern oder Stände, seine Kammer- oder Ständemitglieder, seine Behörden und Beamten begangene Handlung zu richten wäre.

Art. 75. Für diejenigen in Artikel 74 bezeichneten Unternehmungen gegen das Deutsche Reich, welche, wenn gegen einen der einzelnen Bundesstaaten gerichtet, als Hochverrath oder Landesverrath zu qualifiziren wären, ist das gemeinschaftliche Ober-Appellationsgericht der drei freien und Hansestädte in Lübeck die zuständige Spruchbehörde in erster und letzter Instanz.
Die näheren Bestimmungen über die Zuständigkeit und das Verfahren des Ober­Appellationsgerichts erfolgen im Wege der Reichsgesetzgebung. Bis zum Erlasse eines Reichsgesetzes bewendet es bei der seitherigen Zuständigkeit der Gerichte in den einzelnen Bundesstaaten und den auf das Verfahren dieser Gerichte sich beziehenden Bestimmungen.

Art. 76. Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten, sofern dieselben nicht privatrechtlicher Natur und daher von den kompetenten Gerichtsbehörden zu entscheiden sind, werden auf Anrufen des einen Theils von dem Bundesrathe erledigt.

Verfassungsstreitigkeiten in solchen Bundesstaaten, in deren Verfassung nicht eine Behörde zur Entscheidung solcher Streitigkeiten bestimmt ist, hat auf Anrufen eines Theiles der Bundesrath gütlich auszugleichen oder, wenn das nicht gelingt, im Wege der Reichsgesetzgebung zur Erledigung zu bringen.

Art. 77. Wenn in einem Bundesstaate der Fall einer Justizverweigerung eintritt, und auf gesetzlichen Wegen ausreichende Hülfe nicht erlangt werden kann, so liegt dem Bundesrathe ob, erwiesene, nach der Verfassung und den bestehenden Gesetzen des betreffenden Bundesstaates zur beurtheilende Beschwerden über verweigerte oder gehemmte Rechtspflege anzunehmen, und darauf die gerichtliche Hülfe bei der Bundesregierung, die zu der Beschwerde Anlaß gegeben hat, zu bewirken.

 

XIV. Allgemeine Bestimmungen

Art. 78. Veränderungen der Verfassung erfolgen im Wege der Gesetzgebung. Sie gelten als abgelehnt, wenn sie im Bundesrathe 14 Stimmen gegen sich haben.
Diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche bestimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältniß zur Gesammtheit festgestellt sind, können nur mit Zustimmung des berechtigten Bundesstaates abgeändert werden.

1 Das Reichsgesetz vom 3. März 1873 (RGBl. 47) setzte der Ziffer 9 folgende Worte hinzu: „desgleichen die Seeschiffahrtszeichen (Leuchtfeuer, Tonnen, Baken und sonstige Tagesmarken).“
2 Durch Reichsgesetz vom 20. Dezember 1873 (RGBl. 379) erhielt die Ziff. 13 folgende Fassung: „die gemeinsame Gesetzgebung über das gesammte bürgerliche Recht, das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren.“
3 Durch Reichsgesetz vom 31. Mai 1911 (RGBl. 225) wurde folgender Art. 6 a eingefügt: „Elsaß-Lothringen führt im Bundesrate drei Stimmen, solange die Vorschriften im Artikel II § 1, § 2 Absatz 1 und 3 des Gesetzes über die Verfassung Elsaß-Lothringens vom 31. Mai 1911 in Kraft sind. Die elsaß-lothringischen Stimmen werden nicht gezählt, wenn die Präsidialstimme nur durch den Hinzutritt dieser Stimmen die Mehrheit für sich erlangen oder im Sinne des Art. 7 Abs. 3 Satz 3 den Ausschlag geben würde. Das Gleiche gilt bei der Beschlußfassung über Änderungen der Reichsverfassung. Elsaß-Lothringen gilt im Sinne des Art. 6 Abs. 2 und der Artikel 7 und 8 als Bundesstaat.“
4 Auch Sachsen und Württemberg hatten in dem Ausschuß einen ständigen Sitz, und zwar auf Grund der abgeschlossenen Militärkonventionen.
5 Durch das Zweite verfassungsändernde Reichsgesetz vom 28. Oktober 1918 (RGBl. 1274) erhielt Art. 11 Abs. 2 und 3 folgende Fassung:
„Zur Erklärung des Krieges im Namen des Reichs ist die Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags erforderlich.
Friedensverträge sowie diejenigen Verträge mit fremden Staaten, welche sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags.“
6 Durch das gleiche verfassungsändernde Reichsgesetz vom 28. Oktober 1918 (RGBl. 1274) wurden dem Art. 15 folgende Absätze 3–5 zugefügt:
„Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstags.
Der Reichskanzler trägt die Verantwortung für alle Handlungen von politischer Bedeutung, die der Kaiser in Ausübung der ihm nach der Reichsverfassung zustehenden Befugnisse vornimmt.
Der Reichskanzler und seine Stellvertreter sind für ihre Amtsführung dem Bundesrat und dem Reichstag verantwortlich.“
7 Durch das Zweite verfassungsändernde Reichsgesetz vom 28. Oktober 1918 (RGBl. 1274) wurden in Art. 17 die Worte: „welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt“ gestrichen.
8 Dazu kamen gemäß Reichsgesetz vom 25. Juni 1873 fünfzehn Abgeordnete für Elsaß-Lothringen, so daß die Gesamtzahl der Abgeordneten seitdem 397 betrug.
9 Durch das Erste verfassungsändernde Reichsgesetz vom 28. Oktober 1918 (RGBl. 1273) wurde der Art. 21 Abs. 2 aufgehoben.
10 Durch Reichsgesetz vom 19. März 1888 (RGBl. 110) wurde die Legislaturperiode auf fünf Jahre verlängert.
11 Insgesamt kam es in vier Fällen zur Auflösung des Reichstags:
a) nach der am 24. Mai 1878 von Kaiser Wilhelm I. wegen der Ablehnung des ersten Entwurfs des Sozialistengesetzes durch die Reichstagsmehrheit verfügten Schließung des Reichstags (Verh. d. RT, Bd. 48, S. 1557) verfügte der Vertreter des Monarchen Kronprinz Friedrich Wilhelm auf Grund eines entsprechenden Beschlusses des Bundesrats die Auflösung des Reichstags;
b) am 14. Januar 1887 verfügte der Kaiser auf Grund eines entsprechenden Beschlusses des Bundesrats die Auflösung wegen der Ablehnung der die Heeresstärke betreffenden Septennatsvorlage durch die Reichstagsmehrheit (Verh. d. RT, Bd. 93, S. 433);
c) am 6. Mai 1893 verfügte Kaiser Wilhelm II. auf Grund eines entsprechenden Beschlusses des Bundesrats die Auflösung wegen der Ablehnung des Kompromißantrags Huene (Ztr.) zur neuen Vorlage über die Erhöhung der Heeresstärke (Verh. d. RT, Bd. 129, S. 2217);
d) am 13. Dezember 1906 kam es nach der Ablehnung der Haushaltsmittel für die Abwehr des Hottentottenaufstands in Deutsch-Südwestafrika in entsprechenden Formen zur Auflösung (Verh. d. RT, Bd. 218, S. 4381).
12 Durch Reichsgesetz vom 24. Februar 1873 (RGBl. 45) wurde der Art. 28 Abs. 2 aufgehoben.
13 Durch Reichsgesetz vom 21. Mai 1906 (RGBl.) wurden die eingeklammerten Worte gestrichen und statt dessen hinzugesetzt: „Sie erhalten eine Entschädigung nach Maßgabe des Gesetzes“. Auf dieser Grundlage erging das Gesetz betreffend die Gewährung einer Entschädigung an die Mitglieder des deutschen Reichstags vom 21. Mai 1906 (RGBl. 468), geändert durch Reichsgesetz vom 22. Juni 1918 (RGBl. 667); dazu die Bekanntmachungen vom 27. Juni 1906 (RGBl. 850) und vom 29. August 1918 (RGBl. 1090).
14 Hamburg und Bremen wurden auf ihren Antrag mit dem 15. Oktober 1888 in das Zollgebiet einbezogen.
15 Ziff. d. wurde hinsichtlich der Brausteuer aufgehoben und ersetzt durch § 5 des Gesetzes vom 3. Juni 1906 (RGBl. 621), in dem die Festsetzung der Vergütung dem Bundesrat übertragen war.
16 Nämlich wegen des den drei süddeutschen Staaten in Art. 35 Abs. 2 zugestandenen Reservatrechts.
17 Text: Bundesgesetzblatt 1868 S. 41.
18 Zu Art. 53 Abs. 1 wurde durch das Zweite verfassungsändernde Reichsgesetz vom 28. Oktober 1918 (RGBl. 1274) folgender Satz hinzugefügt: „Die Ernennung, Versetzung, Beförderung und Verabschiedung der Offiziere und Beamten der Marine erfolgt unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers.“
19 Abs. 5 wurde aufgehoben und ersetzt durch Art. II § 1 des Reichsgesetzes betr. die Ersatzvertheilung vom 26. Mai 1893 (RGBl.185).
20 Abs. 3 Satz 2 wurde gestrichen durch das Reichsgesetz betr. den Ausbau der deutschen Wasserstraßen und die Erhebung von Schiffahrtsabgaben vom 24. Dezember 1911 (RGBl. 1137).
21 Durch das Reichsgesetz vom 24. Dezember 1911 wurde Abs. 4 durch folgende Absätze 4–7 ersetzt: „Auf natürlichen Wasserstraßen dürfen Abgaben nur für solche Anstalten (Werke und Einrichtungen) erhoben werden, die zur Erleichterung des Verkehrs bestimmt sind. Sie dürfen bei staatlichen und kommunalen Anstalten die zur Herstellung und Unterhaltung erforderlichen Kosten nicht übersteigen. Die Herstellungs- und Unterhaltungskosten für Anstalten, die nicht zur Erleichterung des Verkehrs, sondern auch zur Förderung anderer Zwecke und Interessen bestimmt sind, dürfen nur zu einem verhältnismäßigen Anteil durch Schiffahrtsabgaben aufgebracht werden. Als Kosten der Herstellung gelten die Zinsen und Tilgungsbeträge für die aufgewendeten Kapitalien.
Die Vorschriften des Abs. 4 finden nur Anwendung auf die Abgaben, die für künstliche Wasserstraßen und für Anstalten an solchen sowie in Häfen erhoben werden. Der Bemessung von Befahrungsabgaben können im Bereiche der Binnenschiffahrt die Gesamtkosten für eine Wasserstraße, ein Stromgebiet oder ein Wasserstraßennetz zu Grunde gelegt werden.

Auf die Flößerei finden diese Bestimmungen insoweit Anwendung, als sie auf schiffbaren Wasserstraßen betrieben wird.“
22 Durch Reichsgesetz vom 11. Februar 1900 (RGBl. 11) erhielt der erste Satz dieses Absatzes folgende Fassung:
„Jeder wehrfähige Deutsche gehört sieben Jahre lang, in der Regel vom vollendeten 20. bis zum beginnenden 28. Lebensjahre, dem stehenden Heere – und zwar die ersten drei Jahre bei den Fahnen, die letzten vier Jahre in der Reserve –, die folgenden fünf Lebensjahre der Landwehr ersten Aufgebots und sodann bis zum 31. März desjenigen Kalenderjahres, in welchem das 39. Lebensjahr vollendet wird, der Landwehr zweiten Aufgebots an.“ 23 Durch Reichsgesetz vom 15. April 1905 (RGBl. 249) wurde der Absatz 1 durch folgende beiden Absätze ersetzt:
„Jeder wehrfähige Deutsche gehört sieben Jahre lang, in der Regel vom vollendeten 20. bis zum beginnenden 28. Lebensjahre, dem stehenden Heere, die folgenden fünf Lebensjahre der Landwehr ersten Aufgebots und sodann bis zum 31. März des Kalenderjahres, in welchem das 39. Lebensjahr vollendet wird, der Landwehr zweiten Aufgebots an.
Während der Dauer der Dienstpflicht im stehenden Heere sind die Mannschaften der Kavallerie und reitenden Feldartillerie die ersten drei, alle übrigen Mannschaften die ersten zwei Jahre zum ununterbrochenen Dienste bei den Fahnen verpflichtet.“
24 Dazu Bundesgesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870, §§ 15 und 17.
25 Das Verfassungsändernde Reichsgesetz vom 9. Dezember 1871 (RGBl. 413) verlängerte das Provisorium der Art. 60 und 62 der Reichsverfassung bis zum 31. Dezember 1874. Das erste dem Verfassungsauftrag der Art. 60 und 62 genügende Gesetz war der § 1 des Reichsmilitärgesetzes vom 2. Mai 1874.
26 Ersetzt durch das Reichsmilitärstrafgesetzbuch vom 20. Juni 1872 (RGBl. 175).
27 Ersetzt durch die Reichsmilitärstrafgerichtsordnung vom 1. Dezember 1898 (RGBl. 1189).
28 Diese Kompetenz des Kaisers wurde durch die erwähnten Gesetze über die Friedenspräsenzstärke des Heeres eingeschränkt.
29 Durch das Zweite verfassungsändernde Reichsgesetz vom 28. Oktober 1918 (RGBl. 1274) wurden im Art. 64 Abs. 2 hinter dem Wort „Kaiser“ die Worte „unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers“ eingeschaltet.
30 Durch das Zweite verfassungsändernde Reichsgesetz vom 28. Oktober 1918 (RGBl. 1274) wurden dem Art. 66 folgende Absätze 3 und 4 hinzugesetzt:
„Die Ernennung, Versetzung, Beförderung und Verabschiedung der Offiziere und Militärbeamten eines Kontingents erfolgt unter Gegenzeichnung des Kriegsministers des Kontingents.
Die Kriegsminister sind dem Bundesrath und dem Reichstag für die Verwaltung ihres Kontingents verantwortlich.“
31 Das verfassungsändernde Reichsgesetz vom 14. Mai 1904 (RGBl. S. 169) gab dem Art. 70 folgenden Wortlaut:
„Zur Bestreitung aller gemeinschaftlichen Ausgaben dienen zunächst die aus den Zöllen und gemeinsamen Steuern, aus dem Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen sowie aus den übrigen Verwaltungszweigen fließenden gemeinschaftlichen Einnahmen. Insoweit die Ausgaben durch diese Einnahmen nicht gedeckt werden, sind sie durch Beiträge der einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung aufzubringen, welche in Höhe des budgetmäßigen Betrags durch den Reichskanzler ausgeschrieben werden. Insoweit diese Beiträge in den Überweisungen keine Deckung finden, sind sie den Bundesstaaten am Jahresschluß in dem Maße zu erstatten, als die übrigen ordentlichen Einnahmen des Reichs dessen Bedarf übersteigen.
Etwaige Überschüsse aus den Vorjahren dienen, insoweit durch das Gesetz über den Reichshaushalts-Etat nicht ein anderes bestimmt wird, zur Deckung gemeinschaftlicher außerordentlicher Ausgaben“.

32 Art. 74 war schon seit dem Inkrafttreten der §§ 80–95, 105, 106, 196, 197, 389 des Reichsstrafgesetzbuchs vom 15. Mai 1871 (RGBl. 127), die den Schutz des Reichs und seiner Verfassungseinrichtungen im Einzelnen regelten, im Wesentlichen überholt.

33 Art. 75 wurde gegenstandslos durch § 136 Ziff. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 27. Januar 1877 (RGBl. S. 4):
„in Strafsachen ist das Reichsgericht zuständig:
1. für die Untersuchung und Entscheidung in erster und letzter Instanz, in den Fällen des Hochverraths und des Landesverraths, insofern diese Verbrechen gegen den Kaiser oder das Reich gerichtet sind […..]“

 

Preußen ein kurzer Überblick

Preußen ein kurzer Überblick

1133 – 1324 regierten die Askanier in Brandenburg. Von 1324-1373 folgten die Wittelsbacher und daraufhin dann die Luxemburger 1373 – 1415, bis dann endgültig die Regierung an das Haus der Hohenzollern überging.

Einige wichtige Daten aus der Brandenburgische Geschichte, die für die Erwerbung Preußens wichtig sind.

1410 wurde die Kraft des Deutschen Ordens mit der Schlacht bei Tannenberg gebrochen. Markgraf Albrecht von Anspach, ein Enkel von Albrecht Achills, wird 1511 Hochmeister des Deutschen Ordens und Lehnsträger von Polen.

1525 mit dem Vertrag zu Krakau wird Albrecht mit der Krone Polens belehnt, unter der das deutsche Ordensland zum weltlichen Herzogtum umgewandelt wird. Joachim II. Kurfürst von Brandenburg wird 1569 an dem Herzogtum mitbelehnt.

Joachim Friedrich von Brandenburg erhält 1603 die Regentschaft, nachdem der letzte Herzog Albrecht geistesschwach wurde.
Johann Sigismund von Brandenburg wird 1611 mit Preußen belehnt.
Als der geisteschwache Herzog 1618 stirbt, ist Preußen mit Brandenburg dauerhaft vereint.
Friedrich Wilhelm von Brandenburg (der Große Kurfürst) wird 1641 mit Preußen belehnt.

Mit dem Vertrag zu Oliva (Frieden zu Oliva) am 03.05.1660 wurden die Verträge von Wehlau und Labiau 1656 und 1657 bestätigt. Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, wurde vom Kaiser Leopold I., König Karl XI. von Schweden und König Johann II. Kasimir von Polen-Litauen als souveräner Herzog von Preußen anerkannt und war somit kein Lehnsträger Polens mehr. Einen weiteren Akt der Souveränität vollzog Kurfürst Friedrich III. am 18.01.1701, in dem er sich selbst in Königsberg zum König in Preußen gekrönt hatte. Das Herzogtum Preußen lag außerhalb des Gebiets vom Heilig Römischen Reich Deutscher Nationen (HRRDN).

1719 wurde in Preußen die Leibeigenschaft aufgehoben, 1738 Misshandlungen verboten und 1740 wurde die Tortur aufgehoben. 1746 wurde vom Kaiser das allgemeine Privilegium de non appellando an Preußen verliehen, dass die Losmachung der preußischen Gerichte vom Reichskammergericht des HRRDN mit seinem römischen Recht beinhaltete.

Der preußische Großkanzler Cocceji arbeitet im Auftrag des Königs 1749 -1751 den Entwurf eines corpus juris Fredericiani in 2 Teilen aus, nur ein Teil erhielt Gesetzeskraft. 1755 starb Cocceji und die Reform ruhte bis 1780 als dann Carmer den Auftrag erhielt. 1772 mit der ersten Teilung Polens wurde Westpreußen dazu erworben. 1791 wurde das Werk von Carmer fertiggestellt und als Gesetzbuch für die Preußischen Staaten, mit Gesetzeskraft zum 01.06.1792, publiziert. Mancherlei Strömungen bei Hofe führten zur Suspension der Einführung und zur Wiederaufnahme der Arbeit. Die erneute Einführung fand am 5.2.1794 (Gesetzeskraft 01.06.1794) mit dem Titel, „Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten“, statt.

 

1701 – König in Preußen

Friedrich I. von Preußen
Friedrich I. (Preußen) König in Preußen und Kurfürst von Brandenburg

Die Königskrönung Friedrichs III. von Brandenburg zum König Friedrich I. in Preußen fand am 18. Januar 1701 in Form einer Selbstkrönung statt. Möglich war sie dem Kurfürsten als souveräner Herzog in Preußen. Er krönte sich in Königsberg, der Hauptstadt des Herzogtums Preußen, das dadurch zum Königreich Preußen wurde.

Anton von Werner: Krönung Friedrichs I., Historien-Wandgemälde (1887) in der 1945 zerstörten Ruhmeshalle Berlin

Salbung Friedrichs I. durch zwei evangelische Bischöfe nach erfolgter Krönung, Königsberg 1701.
Durch die Rangerhöhung gelang es dem Kurfürsten von Brandenburg, die von ihm in Personalunion regierten, weit verstreuten Territorien des entstehenden Brandenburg-preußischen Staates mit größerer Autorität nach außen zu vertreten und innerlich zu einen. Der Königstitel war auf das Herzogtum Preußen begrenzt, das außerhalb des Heiligen Römischen Reiches lag; innerhalb der Reichsgrenzen war der Königstitel dem Rex Romanorum, im 18. Jahrhundert der Kaiser oder sein designierter Nachfolger, sowie dem König von Böhmen vorbehalten. Es hatte schwieriger diplomatischer Bemühungen Friedrichs III. mit Kaiser Leopold I. bedurft, um vertraglich von ihm die Anerkennung der Königswürde der brandenburgischen Hohenzollern im Reich und international zu erreichen.

Die Entscheidung zugunsten Friedrichs fiel nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines drohenden europaweiten Krieges infolge der anstehenden spanischen Erbfolgefrage.

Da Preußen 1466 in das polnische Preußen Königlichen Anteils und das spätere Herzogtum geteilt war, hatte sich der Titel nur von Herzog in Preußen zu König in Preußen ändern können. Die Standeserhöhung berührte weder die Bestimmungen im Vertrag von Bromberg noch die rechtliche Stellung des Königs von Polen im Preußen Königlichen Anteils.

Das Massaker der Polen an den Deutschen in Bromberg
Bromberg: Das Massaker der Polen an den Deutschen in Bromberg
Quelle: Wikipedia

Preußen ein kurzer Überblick

1133 – 1324 regierten die Askanier in Brandenburg. Von 1324-1373 folgten die Wittelsbacher und daraufhin dann die Luxemburger 1373 – 1415, bis dann endgültig die Regierung an das Haus der Hohenzollern überging.

Einige wichtige Daten aus der Brandenburgische Geschichte, die für die Erwerbung Preußens wichtig sind.

1410 wurde die Kraft des Deutschen Ordens mit der Schlacht bei Tannenberg gebrochen. Markgraf Albrecht von Anspach, ein Enkel von Albrecht Achills, wird 1511 Hochmeister des Deutschen Ordens und Lehnsträger von Polen.

1525 mit dem Vertrag zu Krakau wird Albrecht mit der Krone Polens belehnt, unter der das deutsche Ordensland zum weltlichen Herzogtum umgewandelt wird. Joachim II. Kurfürst von Brandenburg wird 1569 an dem Herzogtum mitbelehnt.

Joachim Friedrich von Brandenburg erhält 1603 die Regentschaft, nachdem der letzte Herzog Albrecht geistesschwach wurde.
Johann Sigismund von Brandenburg wird 1611 mit Preußen belehnt.
Als der geisteschwache Herzog 1618 stirbt, ist Preußen mit Brandenburg dauerhaft vereint.
Friedrich Wilhelm von Brandenburg (der Große Kurfürst) wird 1641 mit Preußen belehnt.

Mit dem Vertrag zu Oliva (Frieden zu Oliva) am 03.05.1660 wurden die Verträge von Wehlau und Labiau 1656 und 1657 bestätigt. Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, wurde vom Kaiser Leopold I., König Karl XI. von Schweden und König Johann II. Kasimir von Polen-Litauen als souveräner Herzog von Preußen anerkannt und war somit kein Lehnsträger Polens mehr. Einen weiteren Akt der Souveränität vollzog Kurfürst Friedrich III. am 18.01.1701, in dem er sich selbst in Königsberg zum König in Preußen gekrönt hatte. Das Herzogtum Preußen lag außerhalb des Gebiets vom Heilig Römischen Reich Deutscher Nationen (HRRDN).

1719 wurde in Preußen die Leibeigenschaft aufgehoben, 1738 Misshandlungen verboten und 1740 wurde die Tortur aufgehoben. 1746 wurde vom Kaiser das allgemeine Privilegium de non appellando an Preußen verliehen, dass die Losmachung der preußischen Gerichte vom Reichskammergericht des HRRDN mit seinem römischen Recht beinhaltete.

Der preußische Großkanzler Cocceji arbeitet im Auftrag des Königs 1749 -1751 den Entwurf eines corpus juris Fredericiani in 2 Teilen aus, nur ein Teil erhielt Gesetzeskraft. 1755 starb Cocceji und die Reform ruhte bis 1780 als dann Carmer den Auftrag erhielt. 1772 mit der ersten Teilung Polens wurde Westpreußen dazu erworben. 1791 wurde das Werk von Carmer fertiggestellt und als Gesetzbuch für die Preußischen Staaten, mit Gesetzeskraft zum 01.06.1792, publiziert. Mancherlei Strömungen bei Hofe führten zur Suspension der Einführung und zur Wiederaufnahme der Arbeit. Die erneute Einführung fand am 5.2.1794 (Gesetzeskraft 01.06.1794) mit dem Titel, „Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten“, statt.

 

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